Wildwasserpolka
hin. »Hier, sehen Sie: Es war die Liste mit den Passwörtern.«
Tatsächlich. »Benutzerkennwort: Saporischschja1979«, steht dort zuoberst. Der Ort und das Jahr, in dem die Kaulquappe – nein, Galina! – Schönheitskönigin geworden ist. Zynismus oder Sentimentalität? Bei Waskovic weiß man nie. Müllers Nachricht enthält außerdem den Code für ein verschlüsseltes Verzeichnis, in dem weitere Dateien abgelegt sind. Müller hatte also bereits selektiert und alle unwichtigen Eingaben, die der Keylogger aufgezeichnet hatte, entfernt – beziehungsweise umgekehrt: Er hatte die relevanten Daten herausgesiebt. Ich bitte Salzmann, mir Müllers Nachricht auf Vanessas Handy rüberzuschicken und frage ihn, warum er die Daten nicht selbst ausgelesen hat.
Salzmann zieht die Augenbrauen in die Höhe. »Nachdem klar war, dass Waskovic mich umbringen lassen wollte?« Er schüttelt erneut den Kopf. »Nein danke, dafür riskiere ich doch nicht mein Leben! Alles, was ich wollte, war meinen Anteil – unseren Anteil«, korrigiert er sich. »Den von Vanessa und mir. Und dann up, up and away! Sri Lanka, Malaysia – wie Müller es auch geplant hatte. Es lässt sich gut leben dort unten, wenn man über das nötige Kleingeld verfügt.«
»Gemeinsam mit Vanessa?«, will ich wissen.
Salzmann sieht mich prüfend an. »Ist das irgendwie wichtig für die Zusammenhänge?«
»Keine Ahnung«, antworte ich. »Es ist vor allem Neugier.«
»Ich die Steine, sie ihr Geld, und danach hätten sich unsere Wege getrennt«, antwortet er knapp. »Weitere Fragen?«
»Ja. Wie komme ich am besten in das Gebäude?«
Salzmann deutet mit dem Kinn auf den Schlüsselbund, der ebenfalls auf der Tischplatte liegt.
»Der eckige Sicherheitsschlüssel ist es.«
»Wer hat noch einen?«
»Müller. Kemper auch. Dann natürlich Waskovic selbst, und Edith Löhnig-Mehlke, die Chefsekretärin.«
»Kann es sein, dass das Schloss ausgetauscht wurde?«
»Keine Ahnung. Möglich. Aber von Müller ging ja keine Gefahr mehr aus, Kemper und Edith sind außen vor, und ich – nun, ich hoffe, sie denken, dass ich in Australien bin.«
»Australien? Wieso das?«
»Weil ich von meinem Bürorechner aus einen Flug nach Sydney gebucht habe, deshalb«, meint Salzmann. »Waskovic weiß, dass ich eine Schwester dort unten habe. Und der Flug ging vor drei Tagen.«
»Wirklich geschickt«, lobe ich.
»Ganz so dumm, wie ich aussehe, bin ich nicht«, brummt Salzmann. »Aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Keine Ahnung, ob sie drauf reingefallen sind. Was ich jedenfalls sagen wollte, ist, dass von mir keine große Gefahr ausgeht, was die Büroschlüssel betrifft. Vielleicht haben sie also darauf verzichtet, die Schlösser auszutauschen. Vielleicht auch nicht – dann müssten Sie sich einen anderen Weg überlegen, ins Haus zu kommen. Als Detektivin dürfte Ihnen da sicher eine Möglichkeit einfallen.«
Als Detektivin fällt mir dazu leider überhaupt nichts ein, außer eine Scheibe einzuschlagen; das binde ich Salzmann allerdings nicht auf die Nase.
»Ab wann ist keiner mehr im Haus?«, will ich wissen, doch das kann Salzmann nicht so genau sagen. Manchmal seien um sechs alle weg, manchmal um sieben. Es käme auch mal vor, dass einer noch bis zehn, halb elf zu tun habe. Und Waskovic würde hin und wieder nachts noch mal reinschauen, käme drauf an, was gerade anstünde und wie seine Abendplanung aussähe. Na prima. Das sind ja präzise Informationen.
»Aber in der Regel ist abends niemand im Haus«, fasst Salzmann die Sache zusammen. »Bis auf den Wachdienst.«
»Ein Wachdienst?«
»Ja, die schauen alle paar Stunden nach dem Rechten.«
Auch das noch.
Shit!
Salzmann steht auf und verschwindet nochmals in der Küche. Ich habe es längst aufgegeben, jede seiner Bewegungen zu verfolgen. Oder waren wir an dem Punkt, an dem er mich kontrolliert? Mir raucht der Kopf, und ich bin müde. Es ist drei Uhr in der Frühe, wir haben uns bald die ganze Nacht um die Ohren geschlagen. Die Zeit verrinnt. Als Salzmann wiederkommt, hält er eine Tasse in Händen. Ich kann es kaum glauben: Er hat mir tatsächlich eine heiße Milch mit Honig gemacht. Vorsichtig stellt er die Tasse vor mir ab und wartet, bis ich den ersten Schluck getrunken habe. Die Milch ist so heiß, dass ich mir die Lippen verbrenne.
Salzmann löst den Sicherheitsschlüssel vom Bund und legt ihn auf den Tisch. Anschließend greift er nach seinem Smartphone. »Ich werde jetzt gehen«, sagt er. »Mein Flug geht
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