Wildwasserpolka
unterrichten. Als Galina jedoch klar wurde, was sie angerichtet hatte, kam das schlechte Gewissen. Und die Reue. Sie drohte Waskovics dicht gesponnenes Lügengespinst zu zerreißen, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als auch seine Frau aus dem Weg zu räumen. Was ihm vermutlich leichter gefallen war, als sie gehen zu lassen. Einen Sündenbock für seine Schandtaten hatte er ohnehin bereits gefunden, nämlich mich. Doch wie formulierte der englische Dichter Yeats einmal so treffend? ›Überheblichkeit ist der sicherste Weg zum Scheitern.‹
33
Die Wahrheit kommt mit wenigen Worten aus.
Laotse
Vor einer Stunde wurde Galina beerdigt. Ihre Familie hat die Trauergäste anschließend in ein Café hoch über Eitorf geladen, einen ehemaligen Kuhstall mit Eichenparkett und Aussicht auf Wald und Wiesen.
Ich sitze an einem kleinen Tisch in der Ecke, zusammen mit Pavel, der ununterbrochen in seiner Kaffeetasse rührt. Vom vielen Weinen ist sein schwarzes Augen-Make-up verschmiert. Als ich es ihm sage, hört er auf zu rühren, und wischt sich mit den Fingerspitzen um die Augenlidern herum.
»Gut so?«
»Perfekt«, antworte ich. »Ich wollte mich noch einmal bei dir bedanken, Pavel.«
»Das haben Sie jetzt schon mindestens zehn Mal getan.«
»Trotzdem. Auch dafür, dass du den Brief abgegeben hast.«
Pavel winkt ab.
»Hey, jetzt mal nicht so bescheiden!« Ich knuffe ihm gegen den Arm. »Wenn der Brief nicht gewesen wäre, säße ich wahrscheinlich immer noch in U-Haft. Dieses Schreiben hat die Angelegenheit doch sehr vereinfacht, muss ich sagen. Gott sei Dank haben sie nicht daran gezweifelt, dass es ihre Handschrift war.« Ich trinke einen Schluck Tee und nehme mir noch eine belegte Brötchenhälfte. »Wusstest du eigentlich, was drin steht? In dem Brief, meine ich?«
»Nein!« Pavel schüttelt entrüstet den Kopf. »Er war doch versiegelt.«
Ich lege das Brötchen auf meinen Teller und krame einen zusammengefalteten Bogen Papier aus meiner Handtasche. »Hier«, sage ich. »Ich möchte, dass du ihn liest. Galina hätte nichts dagegen, da bin ich mir sicher. Allein schon wegen der letzten Zeile.«
Pavel blickt auf das Blatt Papier, sieht mich dann fragend an.
»Ist nur eine Kopie«, beruhige ich ihn. »Meine Anwältin hat darum gebeten. Für unsere Unterlagen.«
Er nickt. Nachdem er die Zeilen gelesen hat, schweigen wir eine Weile.
»Eins verstehe ich allerdings immer noch nicht«, sage ich schließlich und schaue ihn an. »Warum hat sie dich mit reingezogen? Ich meine, sie hat dich doch bereits mit dem ersten Brief losgeschickt, mit dieser Nachricht an mich. Was riskant genug war. Sie konnte schließlich nicht wissen, ob die Sache gut gehen würde, ob Waskovic mich nicht längst erwischt hatte. Und was geschehen würde, wenn du plötzlich auf der Bildfläche auftauchst.«
»Ich habe Ihnen doch nur ein Schreiben in die Hand gedrückt«, wiegelt Pavel ab.
»Sicher«, stimme ich ihm zu, obwohl er unter den Tisch fallen lässt, dass er einiges mehr getan hat, um seine Aufgabe zu erfüllen. Immerhin hat er meinen Wagen gekapert und sich wie eine Klette an mich gehängt. »Aber damit warst du im Rennen. Galina konnte nicht ausschließen, dass Waskovic dich ins Visier nehmen würde. Warum hat sie dir dann auch noch diesen zweiten Brief aufs Auge gedrückt?«
»Es war allein meine Entscheidung, ihn anzunehmen«, widerspricht Pavel gereizt.
»Eine Entscheidung kann man doch eigentlich nur treffen, wenn einem klar ist, worum es geht, oder etwa nicht? Ich weiß, über Tote soll man nicht schlecht reden – aber sie hat dir damit ordentlich was aufgehalst.«
Pavel guckt noch finsterer drein, doch ich kann mich nicht bremsen.
»Sie hätte dieses Schreiben auch einfach einem Anwalt oder Notar anvertrauen können, wie ein Testament, und in gewissem Sinne war es das ja.« Ich schaue ihn nachdenklich an.
Er erwidert meinen Blick, sagt jedoch nichts. Jetzt sieht er zu dem dösenden Labrador hinüber, der unter dem Tisch nebenan liegt, schaut schließlich erneut mich an. Sein Gesichtsausdruck hat sich verändert, ich kann ihn allerdings nicht recht deuten. Eine Mischung aus Stolz und schlechtem Gewissen, würde ich sagen, sofern diese Gefühlslage auch nur annähernd zu unserem Thema passen würde. Stolz und schlechtes Gewissen …
Ich forsche weiter im Gesicht meines jungen Freundes, einem Gesicht, an dem man sich festsehen kann: diese ungewöhnliche, sanfte Schönheit, die harmonischen, mädchenhaften Züge. Doch
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