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Wildwasserpolka

Wildwasserpolka

Titel: Wildwasserpolka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Kuepper
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kommt, aber ohne Yannick und Markus. Unter Markus’ Handynummer herrscht nach wie vor Funkstille. Augenblicklich werde ich nervös – oder vielmehr noch nervöser, als ich ohnehin bin, seit ich den Balkon eines gewissen Hotelzimmers betreten habe. Wie wird Markus die Geschichte aufnehmen?
    Ich weiß nicht, mit welchem der späteren Züge er und Yannick eintreffen werden, und hier oben pfeift ein eiskalter Wind. So ist die Welt: Da wartet man auf Hightech-Wunder und friert sich dabei ganz urtümlich den Arsch ab. Für mich ist das allerdings keine Option, ich neige zu Blasenentzündungen, wenn ich eine gewisse Betriebstemperatur unterschreite. Außerdem habe ich Hunger. Stresshunger. Brezelhunger.
    Ich gehe die Treppe hinunter, überquere die Straße und erreiche gerade den Parkplatz, als ein Mann wild gestikulierend auf mich zugerannt kommt.
    »Hallo!« Er stoppt schwer atmend vor mir. »Haben Sie ein Handy?«
    »Nein«, lüge ich. »Ich glaube, ich hab’s zu Hause vergessen.«
    »Bitte, da vorn – ein Unfall.« Er deutet vage in Richtung Straße. »Da liegt ein kleines Mädchen, ist mit dem Fahrrad gestürzt, wie’s aussieht.« Er beugt sich vor und stützt seine Hände auf den Oberschenkeln ab.
    Ich mustere den Mann. Er trägt eine hautenge dunkelblaue Läufermontur, hat ein sportlich gerötetes Gesicht und ehrliche Schweißperlen auf der Stirn. »Bitte … Kann ich …? Können Sie den Notarzt rufen?«, hechelt er.
    Herrje. Ausgerechnet ein Kind! Ich zücke mein Smartphone und reiche es ihm. Ein Griff – und der Typ sprintet los.
    Zuerst sieht es aus, als hätte ich eine Chance, ihn einzuholen, ich bin recht schnell, wenn’s sein muss. Dieser Kerl ist allerdings mindestens Kreismeister im Dauersprint. Als wir die Parkgarage passiert haben, vergrößert sich der Abstand zwischen uns rapide, am Kreisel vor der Unterführung gebe ich auf. Drei scharfe Atemzüge, und der Typ ist verschwunden.
    Fluchend und mit höllischem Seitenstechen trete ich den Rückweg an. Ohne mein Smartphone. Mein zweites Gehirn.
    Das soll jedoch längst nicht alles gewesen sein.

    Als ich zurück zu meinem Wagen komme, sehe ich, dass der Kofferraum nicht ganz geschlossen ist.
    Wieso zum Kuckuck ist die Heckklappe offen? Ich bin mir sicher, dass eben noch alles seine Richtigkeit hatte. Was nur bedeuten kann, dass sich jemand an meinem Wagen zu schaffen gemacht hat. Na prima, jetzt ist mein Nachtsichtgerät futsch. Dafür gibt’s auf dem Flohmarkt sicher noch 20 Euro.
    Ich öffne die Heckklappe und fahre entsetzt zurück. Es wurde nichts herausgenommen. Sondern hineingelegt. In meinem Kofferraum liegt eine Leiche. Richtig: eine Leiche. Sie ist männlich, dunkelhaarig, hager und weder groß noch klein – soweit sich das beurteilen lässt, wenn jemand zusammengefaltet, mit dem Gesicht nach unten, im Kofferraum liegt. Einwandfrei beurteilen lässt sich dagegen das saubere Einschussloch im Rücken. Damit erschöpft sich aber auch schon mein Urteilsvermögen, ebenso wie das Stehvermögen meiner Beine. Ich schaffe es gerade noch, die Heckklappe zuzuschlagen, und muss mich darauf abstützen, um nicht in die Knie zu gehen.
    Tief durchatmen. Ruhe bewahren. Nachdenken.
    Vermutlich handelt es sich um einen der beiden Brüder im Geiste, die auf Waskovics Anweisung hin das Zeitliche segnen sollten. Der Haarfarbe nach zu urteilen müsste es der Buchhalter sein, jener Stefan Salzmann, mit dem ich in der vergangenen Nacht gesprochen habe. Aber genau weiß ich es nicht, vielleicht hat Waskovic einfach jemanden auf der Straße abknallen lassen, bloß um mir einen Schrecken einzujagen. Was ihm gelungen ist, so oder so. Denn, dass der Holzhändler dahintersteckt, daran zweifle ich keine Sekunde.
    Und der Tote spricht eine beredte Sprache: Waskovic weiß, dass ich weiß . Ich stehe nicht mehr nur mit dem Rücken zur Wand, ich habe mir zudem die Flucht nach vorn verbaut.
    Aus der Jägerin Johanna ist eine Gejagte geworden. Statt gemütlich vor Stundenhotels herumzulungern, Chips zu futtern und Darjeeling zu schlürfen, habe ich mich in Teufels Küche gebracht, um mich bei lebendigem Leib am Spieß grillen zu lassen.

    Während ich versuche, mir über die Tragweite dieser Erkenntnis bewusst zu werden, klingelt in der Nähe ein Telefon – nicht meines, das habe ich ja nun nicht mehr. Ich zucke zusammen.
    Das Schellen erinnert an Apparate aus dem vergangenen Jahrhundert und scheint seinem dumpfen Klang nach tatsächlich aus jenen Zeiten herüberzudringen.

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