Wildwasserpolka
Doch es kommt nicht aus der Vergangenheit, sondern aus dem Kofferraum meines Wagens.
Ich lasse es läuten.
Nein, ich werde nicht rangehen.
Das Klingeln hört auf.
Na also.
Und es beginnt von vorn. Ich gebe mich geschlagen. Dicht neben der Leiche entdecke ich ein großes postgelbes Seniorenhandy und gehe ran.
»Na endlich!« Waskovic. Die Stimme erkenne ich sofort.
»Wie ich sehe, hast du meinen Gruß erhalten«, meint er mit öliger Onkelstimme; einer schönen Stimme, um objektiv zu sein: satt und warm wie ein Tasse heiße Schokolade. Bei nervösem Magen kann einem davon allerdings schlecht werden.
»Mit wem spreche ich?«
»Mäuschen, nun lass mal die Mätzchen! Ich denke doch, dass du mit mir ins Geschäft kommen willst.«
»Entschuldigen Sie, aber warum sollte ich das wollen?«
»Engelchen, du musst nichts wollen. Wenn wir ein bisschen schieben, ist für dich auch noch Platz im Kofferraum!«
Ich schlucke. Meine Kehle ist zugeschnürt, sodass ich kaum einen Ton herausbekomme. »Was wollen Sie?«, bringe ich schließlich hervor.
»Nur ein Pläuschchen halten, aber nicht am Telefon. Gehen wir ein Stückchen spazieren. In Eitorf vielleicht – oder wäre dir ein bisschen Abwechslung lieber?«
Er weiß, wo ich gestern Abend gewesen bin. Er hat die ganze Zeit über gewusst, wo ich bin!
»Hören Sie, ich glaube, da liegen ein paar Missverständnisse vor«, stammele ich. Und das Größte liegt in meinem Kofferraum, denke ich, sage es allerdings nicht, sondern: »Mich interessieren Ihre Geschäfte nicht. Ich rede nicht darüber, verstehen Sie?«
»Aber mit meiner Frau hast du geredet, oder? Hat sie dir nicht einen gewissen Auftrag erteilt? Und sie hatte einige nette Details zu berichten!«
Da ist er, der Moment der Wahrheit – und Klarheit. Nur von Fairness keine Spur. Die Kaulquappe ist zur falschen Schlange mutiert.
Schlagartig wird mir bewusst, welch fataler Fehler es gewesen ist, mein Wissen preiszugeben. Und alles wegen dieses sentimentalen Frauensolidaritätsquatsches! Ich hätte zuerst an die Männer denken müssen – an meine eigenen. An meine Familie, die mich braucht. Jetzt ist es zu spät.
»Das war etwas anderes«, behaupte ich, ohne selbst recht zu wissen, was ich damit meine. Das heißt, ich weiß natürlich, worum es mir geht, aber nicht, wie ich ihm das klarmachen soll. »Ich interessiere mich nur für Bettgeschichten«, starte ich einen spontanen Erklärungsversuch, worauf er in schallendes Gelächter ausbricht.
»Engelchen, darüber können wir reden! Ich bin für alles offen.«
»Nein, nein, ich meine Ehebruch, Ladendiebstahl, notorisches Blaumachen und solche Sachen …«
»Ein seltsames Hobby.«
»Ich würde es nicht unbedingt Hobby nennen. Jeder muss schließlich von irgendwas leben, immerhin habe ich Familie und …« Im selben Moment würde ich mir am liebsten die Zunge abbeißen. Womöglich wusste er noch gar nichts von Markus und Yannick! Wie konnte ich sie nur in diese Sache reinziehen?
»Hör zu!«, fährt Waskovic dazwischen, meiner Stotterei offenbar überdrüssig. »Wenn du deine Familie noch eine Weile behalten willst, tust du, was ich sage, verstanden? Wenn nicht, reitest du geradewegs in den Sonnenuntergang.«
Ich antworte nicht.
»Wir treffen uns in einer halben Stunde hinter dem Mondorfer Yachthafen. Und nimm das Handy mit.«
Mein zögerliches »Okay« wartet er gar nicht erst ab.
5
Lächelnde Feinde sind die unversöhnlichsten.
Otto von Leixner
Die Fahrt dauert eine halbe Stunde, vor Troisdorf gab es einen kurzen Stau wegen eines Auffahrunfalls.
Ich parke beim Hafenschlösschen, nicht weit entfernt von der Stelle, an der ich meinen Wagen gestern Abend abgestellt hatte – Waskovic hat sich offenbar nicht weit wegbequemt.
Ich bin einigermaßen froh, nicht die Einzige zu sein, die an diesem Montagvormittag am Rheinufer unterwegs ist, doch zugleich beunruhigt mich das auch: Ein verschwiegenes Plätzchen sieht anders aus – und darauf hat Waskovic es schließlich angelegt, oder etwa nicht?
Mit dem gelben Hundeknochen versuche ich, Markus zu erreichen, aber er geht nicht an sein Handy. Zögernd mache ich mich auf den Weg in Richtung Yachthafen.
Der Nebel hat sich inzwischen gänzlich verzogen, ein strahlend blauer Himmel wölbt sich über den Pappeln, die Sonne glitzert auf den Wellen, und friedlich träumend schaukeln Boote vor sich hin. Ein schöner Tag. Ein schöner Tag zum Sterben.
Während ich das Hafenbecken umrunde, suche ich jeden Winkel mit
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