Wildwasserpolka
Geschichte würde schnell auffliegen, er wäre geliefert … Nein, durch eine Entführung hätte er eindeutig nichts gewonnen. Das Wagnis kann er nicht eingehen.
Erneut wähle ich Markus’ Nummer. Diesmal nimmt jemand das Gespräch entgegen, und dieser Jemand ist Waskovic.
»Hallo, Engelchen!«, lacht er. Und schon ist die Verbindung wieder unterbrochen.
Jeder Dummkopf weiß, dass Einzelkämpfer in Entführungsfällen keine Chance haben. Gleichgültig für wie schlecht man die Arbeit der Polizei halten mag, beim Kidnapping ist man ohne sie noch schlechter dran. Das gilt sogar dann, wenn die Entführer ausdrücklich davor gewarnt haben, die Behörden einzuschalten, und wenn sie mitbekommen, dass man es trotzdem getan hat.
»Werden Sie mit einer Entführung konfrontiert, ist das Einschalten der staatlichen Sicherheitsorgane unabdingbar«, hat man uns während der Ausbildung eingebläut. Die Frage ist also nicht, ob ich mich an jemanden wenden soll, sondern an wen. Am besten an jemanden, der mich kennt – allein wegen der Leiche in meinem Kofferraum. Falsche Verdächtigungen und Missverständnisse wären so ziemlich das Letzte, was ich jetzt brauchen könnte. Also zurück nach Siegburg. Mit einigen der Beamten bin ich per Du, zu ihnen habe ich Vertrauen – und sie zu mir.
Während der Fahrt versuche ich, Herbert zu erreichen. Bisher hatte ich ihn außen vor gelassen, weil ich mir keine Moralpredigten über Einsätze am Rande der Legalität anhören wollte, aber mittlerweile ist die Sachlage eine andere. Ich brauche jede Unterstützung, die ich kriegen kann.
Leider ist Herberts Handy abgeschaltet, und auch unter der Festnetznummer erreiche ich niemanden. Bei Denise versuche ich es erst gar nicht. Ich heiße schließlich nicht Robbie Williams.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt mich ein junger Polizist auf der Wache, den ich nicht kenne. Seine Augenfarbe lässt sich als leitungswasserblau beschreiben, die Haarfarbe: fussig. Als Kontrastprogramm zu seiner Jugend und den zahlreichen Sommersprossen trägt er einen besonders strengen Bullenbart. Kann ich so jemandem vertrauen?
»Nein«, antworte ich. »Das heißt, doch, Sie können mir sagen, ob Geringer da ist.«
»Peter Geringer? Der ist leider nicht hier.«
»Verena Schulze vielleicht?«
»Hat heute Urlaub. Aber vielleicht kann ich Ihnen …«
»Was ist mit Geringer, wann kommt der wieder?«
»Bitte, Frau … Ich denke nicht, dass …«
»Entschuldigen Sie, Johanna Schiller mein Name, Detektei Schiller. Ich habe schon x-mal mit Geringer zusammengearbeitet und muss ihn dringend sprechen!«
»Da werden Sie wohl ein halbes Jahr warten müssen.«
»Wie jetzt? Ist ihm was passiert?«
»Bandscheibenvorfall.«
Verdammt! Ist denn alle Welt nur noch mit Krücken unterwegs?
»Wenn ich Ihnen also helfen kann …«
Für ein ausgedehnteres Vorspiel habe ich keine Zeit und beschließe daher, die Kombination von Sommersprossen und Bullenbart doch in Ordnung zu finden. »Meine Familie wurde entführt«, kläre ich den Rotschopf auf. »Mein Mann und mein Sohn. Außerdem hat mir jemand …«
Der gelbe Knochen macht sich bemerkbar. Ein instinktiver Griff in die Brusttasche meiner Jacke, in der ich sonst mein Smartphone verstaue, aber das habe ich ja nicht mehr. Wegen seiner Größe muss ich das gelbe Ding in einer meiner Seitentaschen deponieren. Ich fische es heraus, nehme den Anruf an und halte es mir ans Ohr. »Ja?«
»Meine liebe Johanna!«
Ich bedeute dem Polizeiküken, mitzuhören. Bei dem gelben Ungetüm, das zwölf lichtschaltergroße Tasten hat, ist eine Lautsprecherfunktion zwar nicht vorgesehen, allerdings auch nicht notwendig. Mit ein bisschen Konzentration lässt sich das Gespräch aus einem Kilometer Entfernung mitverfolgen.
»Johanna, wo stecken Sie nur?«
»Ich stecke bei der Polizei.«
»Ach, Kind! Ich weiß zwar nicht genau, was Sie vermuten, aber ich bin mir sicher, es liegt ein großes Missverständnis vor!«
»Missverständnis? Du Drecksau!«
»Johanna, so beruhigen Sie sich doch! Brauchen Sie Hilfe? Haben Sie Ihre Tabletten bei sich?«
»Tabletten? Was für Tabletten?«
»Ganz ruhig, Johanna! Vielleicht fahren Sie besser nach Hause und ruhen …«
»Waskovic, du verdammtes Arschloch!«
»… sich ein bisschen aus. Fahren Sie heim zu Ihrer Familie, die macht sich sicher Sorgen …«
»Meine Familie? Markus und Yannick sind zu Hause?!«
»Bitte, keine Panik, Johanna. Allen geht es bestens!«
Bin ich diejenige, die das Gespräch
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