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Wildwasserpolka

Wildwasserpolka

Titel: Wildwasserpolka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Kuepper
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Tom geahnt, was auf ihn zukam? Hat er sich absetzen und sein Äußeres deswegen verändern wollen? Hat er vielleicht erst am gestrigen Abend, oder sogar in der Nacht, nachdem Salzmann ihn gewarnt hatte, zum Färbemittel gegriffen?
    Aber vielleicht ist auch alles eine Lüge. Lügt Waskovic nicht wie gedruckt?
    Mit dem Mut der Verzweiflung stürme ich nach draußen und reiße den Kofferraumdeckel auf. Ich strecke die Hand aus, drücke gegen eine kalte Schulter, die zurückweicht und das Gesicht im Halbprofil erkennen lässt. Keine Frage: Er ist es. Wasserwellen-Tom. Thomas Müller.
    Ich schließe den Kofferraum, wanke zurück ins Büro, in die winzige Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Auf der Spülablage stehen zwei Sektgläser. Offenbar sind sie benutzt worden, denn neben dem Abfalleimer steht eine leere Flasche Schampus.
    Ich versuche, die Situation zu erfassen, zu begreifen, was hier vorgefallen ist, doch es will mir nicht gelingen. Kein Wunder. Kein Wunder bei dem Gestank hier drinnen. Was ich jetzt dringend brauche, ist frische Luft. Ich gehe zum Fenster, reiße es weit auf. In dem Moment, in dem ich mich umwende, zischt ein greller Lichtball an meinem Kopf vorbei, im nächsten Moment ein Geräusch, als hauche ein Feuer speiender Drache ein Strohdach an. Wuuusch! Mein Laptop steht in Flammen, dann brennt mein ganzer Schreibtisch. Wuuusch! Das Feuer greift auf die Regale über.
    Brandbeschleuniger!, jagt es mir durch den Kopf; Möbelpolitur ist ein zuverlässiger Brandbeschleuniger.
    Draußen ein Schatten. Ich stürme ins Freie, sehe gerade noch, wie eine Gestalt über die Hinterhofmauer springt. Sie hat die alte Hundehütte als Rampe genutzt, die in diesem Moment krachend zusammenbricht. Hoffentlich hat er Dick und Doof nicht zerquetscht, denke ich unwillkürlich, Yannicks Meerschweinchen, die darin hausen.
    Ohne Leiter komme ich nicht über die Mauer, keine Chance also, dem Brandstifter zu folgen.
    Das Haus! Hinter dem geöffneten Fenster meines Büros züngeln die Flammen. Bald wird das Inferno nicht mehr aufzuhalten sein. Ich stürze ins Wohnhaus, reiße den Feuerlöscher unter der Treppe von der Wand, renne zurück ins Büro. Aktenschrank, Unterlagen: alles brennt. Als ich einen Schaumteppich auf den Schreibtisch niedergehen lasse, entdecke ich einen Schuh darunter, einen schwarzen Herrenschuh.
    Und in dieser Sekunde weiß ich es. In der Sekunde, in der ich, den Schuh in der Hand, in den qualmenden Überresten meines Büros stehe, weiß ich alles.
    Bis gestern Abend hat Wasserwellen-Tom diesen Schuh getragen – nun ist er tot, erschossen in der vergangenen Nacht, verfrachtet in den Kofferraum meines Wagens. Und sein Mörder bin – ich.
    Panik ergreift mich, peitscht wie ein Stromschlag durch meinen Körper, peitscht mich voran, in die Flucht.
    Ich zerre meinen Wanderrucksack aus dem Schrank, mein Notfallgepäck für dringliche, unvorhergesehene Einsätze, stürme aus dem Haus, auf den Hof hinaus, über den sich eine Qualmwolke wie eine Nebelbank gelegt hat. Ich werfe meine Tasche auf den Rücksitz des Mondeo, springe auf den Fahrersitz. Der Schlüssel steckt. Ich starte den Motor, knalle den Rückwärtsgang rein und fege vom Hof.
    Weg hier, raus aus der Schusslinie. Ich biege in die Frankfurter Straße ein und trete das Gaspedal durch – was keine gute Idee im Stadtverkehr ist, schon gar nicht, wenn man die Polizei quasi zum Nachbarn hat. Wenn ich angehalten werde, ist die Sache gelaufen, also Fuß vom Gas! Vor Anspannung beiße ich mir beinahe die Lippen blutig.
    Am ›Spukhaus‹, wie Yannick es getauft hat, einem mächtigen, spitzgiebeligen Backsteinbau, der in die Kreuzung hineinzuragen scheint, biege ich ab. Ein letzter Blick hoch zur Abtei Michaelsberg, dem Wahrzeichen der Stadt. Über 800 Jahre lang haben die Benediktinermönche von dort oben aus auf uns Siegburger aufgepasst, jetzt sind sie weg. Den Schrecken haben wir noch immer nicht verdaut. Kein Wunder, dass alles schiefläuft.
    Ich fahre entlang der Siegauen in Richtung Seligenthal und steuere die Wahnbachtalsperre an. Womöglich nicht die schlauste Idee, bereits nach wenigen Kilometern wieder anzuhalten, aber es ist die stillste Ecke, die mir auf die Schnelle einfällt, und ich brauche einen Platz, um meine Ausrüstung anzupassen.
    Auf dem einsamen Waldsträßchen, das oberhalb der Klosterkirche zur Talsperre führt, fahre ich rechts ran, lehne mich zurück und schließe für einen Moment die Augen. Es ist verrückt, diese ganze

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