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Wildwasserpolka

Wildwasserpolka

Titel: Wildwasserpolka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Kuepper
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Ich reiße ihm das Gerät aus der Hand.
    »Nichts mache ich! Ich habe Ihnen meine Nummer eingespeichert.«
    »Ach ja? Damit ich dich demnächst mal zum Essen einladen kann, oder was? Erzähl keinen Scheiß!«
    »Sehen Sie unter Pavel nach«, fordert er mich auf.
    »Wie?«
    »Unter Pavel, so heiße ich; im Adressbuch.«
    Es stimmt, da steht er: Pavel. Als ich die Nummer anwähle, dudelt es in seiner Jackentasche.
    »Es ist Ihnen beim Aussteigen aus der Manteltasche gefallen«, erklärt Pavel.
    Kommentarlos stecke ich das Ding wieder ein, und wir fahren weiter.
    »Woher kennst du die Waskovics?«, will ich wissen.
    »Sie meinen Galina?«
    »Ihren Mann wirst du ja wohl auch kennen, oder etwa nicht?«
    »Kaum. Ich habe ihn zwei-, dreimal gesehen und weiß nicht viel über ihn.«
    »Und sie? Woher kennst du die Frau?«
    »Ich habe sie vor ungefähr drei Jahren kennengelernt, auf irgendeiner Party. Damals steckte ich ziemlich in der Krise – meine Eltern, wissen Sie. Mein Vater, er … er hat was gegen mich. Ich entspreche nicht ganz seinem Idealbild eines Sohnes.« Pavel lacht über seine eigenen Worte, doch es ist kein heiteres Lachen. »Irgendwann bin ich abgehauen, war aber schnell pleite, und dann bin ich … Dann hab ich angefangen …« Er stockt.
    »So genau muss ich’s nicht wissen«, sage ich, und er nickt zustimmend.
    »Irgendwann habe ich Galina getroffen«, fährt er fort. »Sie hat mir eine Wohnung besorgt und so weiter, hat dafür gesorgt, dass ich etwas anfange mit meinem Leben …«
    »Und dafür brauchst du eine Frau, die fast 30 Jahre älter ist als du?«, frage ich ungläubig.
    »Ohne Galina wäre ich vermutlich nicht mehr da«, antwortet er ernst. »Verstehen Sie?«
    »Allenfalls ansatzweise.«
    »Werden Sie ihr helfen?« Er sieht mich an mit seinem Welpenblick.
    »Helfen? Wieso helfen?«
    »Sie wird Ihnen nicht heimlich irgendwelche Briefe zukommen lassen, wenn Sie keine Hilfe bräuchte. Sie hat Vertrauen zu Ihnen, das heißt, Sie sind ein guter Mensch. Und zu wem Galina Vertrauen hat, zu dem habe ich es auch!«
    Wie rührend. Dieser Junge rührt mich zutiefst. Hat ihn Galina womöglich deshalb auf mich angesetzt?, kommt es mir in den Sinn. Ihr eigener Charme kennt durchaus Grenzen, und so dient ihr der kleine Pavel womöglich als eine Art Geheimwaffe. Diesen Waskovics ist alles zuzutrauen. Vielleicht ist Pavel die nächste Wanze, die sie mir untergejubelt haben. Er muss weg, keine Frage.
    Ich sollte ihn einfach rausschmeißen, gleich hier, auf freier Strecke, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Soll er zusehen, wie er weiterkommt. Er ist jung, er kann notfalls trampen.
    »Werden Sie ihr helfen?«, hakt Pavel erneut nach, als ich ihn am Kirchener Bahnhof absetze.
    »Ich werde sehen, was ich tun kann«, sage ich. »Nur befinde ich mich gerade selbst nicht in der komfortabelsten Lage, und daran trägt allein ihr Mann die Schuld.«
    »Er ist ein Arsch«, meint Pavel.
    »Da wirst du recht haben«, stimme ich ihm zu. »Aber soll ich dir etwas sagen? Das Geld, mit dem Galina dich unterstützt, kommt von ihm.«
    Er schweigt einen Moment. »Danke fürs Mitnehmen«, sagt er schließlich. »Und falls mal was sein sollte: Meine Nummer haben Sie ja.« Er reicht mir die Hand zum Abschied und steigt aus.
    »Pavel?«, rufe ich ihm nach. »Pass auf dich auf, hörst du? Und halte dich von den Waskovics fern.«
    Er nickt höflich. Nur höflich, mehr nicht.
    »Es ist mir Ernst«, schiebe ich nach. »Du bist doch ein kluger Bursche. Mach Abitur, lern was Gescheites – und lass dich nicht mehr auf solche dubiosen Geschichten ein.«
    »Mein Abitur habe ich schon.« Er schenkt mir ein strahlendes Lächeln und hebt die Hand zum Gruß.
    Weg hier, nichts wie weg. Ehe meine Mutterinstinkte vollends mit mir durchgehen.

17
    Eine halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge.
    Amerikanisches Sprichwort

    Was nun? Noch immer trage ich dieses Edelnuttenoutfit, und fremde, für meinen Geschmack viel zu aufdringliche Parfümmoleküle bombardieren meine Nase. Es hilft nichts, ich brauche dringend neue Klamotten.
    Ich habe mich gerade in die Umkleidekabine eines Bekleidungsgeschäfts unweit der Kirchener Kinderklinik zurückgezogen, als sich mein Cancan-tanzendes Notfallhandy bemerkbar macht.
    »Sag mal, spinnst du?«, blafft Herbert mich ohne jede Vorwarnung an, als ich rangehe. »Was ist los mit dir, bist du übergeschnappt?« Herbert hat viele Qualitäten, psychologisches Feingefühl gehört nicht dazu. Und diese Fragen kommen mir

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