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Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy , Carson Ellis
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erwischt?«, fragte er halblaut.
    »Vielleicht ist er später dran«, raunte Prue.
    Was nun folgte, war die kläglichste Zirkusvorstellung, die sie jemals erlebt hatten. Die Affen waren widerstrebend gewesen, aber immer noch überschwänglicher als der runzlige Elefant, der mit der Begeisterung eines Kindes beim Zahnarzttermin in die Manege trampelte. Die Löwen waren praktisch im Tiefschlaf, und die »tanzenden Eichhörnchen« so aufgedreht, dass sie im Bruchteil einer Sekunde aus dem roten Zelt zum Ausgang rasten, mutmaßlich, um zu ihren Brüdern und Schwestern in der Freiheit zurückzukehren. Ihr Dompteur, ein dicker Mann in einem zu kleinen Anzug, rannte ihnen nach und lächelte dabei die ganze Zeit weiter das Publikum an. Im Vorbeiflitzen stellte Prue fest, dass auch seine Hände eindeutig echt waren. Mittlerweile war der Zirkusdirektor ziemlich frustriert und wurde mit jeder verpatzten Nummer nüchterner. Wütend stampfte er mit den Füßen auf, bis er schließlich nach Rücksprache mit einem Assistenten hinter der Bühne (echte Hände, keine Haken) beschloss, direkt zum Hauptereignis überzugehen.
    Also stellte er sich in die Mitte der Manege und sprach das Publikum (inzwischen nur noch fünf; die beiden Mädchen waren nach dem Verschwinden der Eichhörnchen in einem hysterischen Lachanfall geflüchtet) mit prahlerischer Stimme an: »Damän. Und die Härrään. Ich präsäntierä Ihnen: Den großän Esbän.«
    Gespannt ergriff Curtis Prues Hand.
    Aus dem roten Zelt trottete gemächlich ein sehr großer schwarzer Bär. Er lief auf allen vieren, wie Bären es tun, allerdings dem Anschein nach etwas mühsam. Erst als er die Manege erreicht hatte und sich zu seiner vollen Höhe aufrichtete, entdeckten Prue und Curtis, warum: Statt Vorderpfoten hatte er zwei goldene Haken.
    Curtis schnappte nach Luft, und Prue stieß einen leisen Schrei aus. Der Mann mit der Erdnusstüte drehte sich zu ihnen um und machte: »Pst!«
    »Esbän wird Ihnen nun seine erstaunlichän Fähigkeitän zeigään!«, verkündete der Zirkusdirektor und rollte dem aufrecht stehenden Bär einen Ball zu. Gehorsam kletterte Esben auf den Ball, balancierte schwankend auf den Hinterpfoten und rollte dann durch die Manege. Der Zirkusdirektor griff dabei nur wenig ein, vielmehr schien Esben seine Vorstellung ganz allein zu steuern. Auf einen Zuruf des Mannes im Frack sprang er vom Ball, und die Zuschauer klatschten laut. Prue stand immer noch unter Schock wegen dieser vollkommen unerwarteten Erkenntnis. Sie hatten einen Menschen gesucht, aber natürlich war er ein Tier. Die Maulwürfe waren blind und wussten vermutlich nicht, überlegte Prue, welche unterschiedliche Arten von Oberirdischen es gab. Deshalb hatten sie es wohl nicht für nötig erachtet, näher zu beschreiben, zu welcher Sorte Oberirdischer er gehörte.

    Einige Passanten hatten den Applaus gehört, und mehrere von ihnen kamen nun ins Zelt, um sich die Vorführung anzusehen. Der Bär hatte sich inzwischen mit Hilfe des Zirkusdirektors einen großen Blechteller auf seinen linken Haken gesetzt und ließ ihn darauf kreiseln, indem er ihn mit der anderen goldenen Prothese anstieß. Mit einer schwungvollen Geste reichte der Zirkusdirektor Esben einen Metallstift, den er auf den sich drehenden Teller stellte. Schließlich wurde ein weiterer Teller oben auf den Stift platziert und ebenfalls in Bewegung gesetzt. Die wachsende Zuschauermenge jubelte. »Nicht schlecht«, stellte Septimus leise fest.
    So ging die Vorstellung weiter, und Esben vollführte eine Reihe von unglaublichen Kunststücken mit einer viel zu abgeklärten Haltung, als verfügte er über eine für seine Spezies ungewöhnliche Intelligenz. Während allerdings das Publikum johlte und lärmte, beobachteten Prue und Curtis den Bären mit anderen Augen. Er war ein Waldianer, so viel war klar. Daran konnte es keinen Zweifel geben.
    Der Auftritt endete mit einer todesverachtenden Nummer unter Einsatz eines Turms aufeinandergestapelter, umgedrehter Stühle, eines brennenden Reifens und eines vom Zeltdach bis zum Fußboden gespannten Drahtseils. Esben kletterte an den Stühlen hoch, befestigte seine Haken an dem Seil, rutschte in atemberaubender Geschwindigkeit daran hinunter und sprang am Ende wohlbehalten durch die Flammen des Reifens. Auf den mittlerweile halbvollen Zuschauerrängen wurde geklatscht und getrampelt. Dank der fantastischen Darbietung verzieh das Publikum dem Zirkusdirektor sogar seine vorherigen Misserfolge. Esben hatte

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