Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Versammlungsort für Waldbewohner aller Länder, die sich abseits der vielen Augen und Ohren der Villa Pittock auszutauschen wünschten.«
»Und so muss es wieder werden«, sagte Iphigenia und winkte einen weiteren Helfer im langen Gewand herbei, der einen Stapel Holzscheite auf den Armen trug. Auf ihre Anweisung hin legte er die Scheite auf das Feuer, und die Flammen züngelten höher und leckten an dem großen Kupferabzug, der oben an den hölzernen Dachsparren hing. Das schlagartig hellere Licht zeigte die wahren Ausmaße der Halle, die sich vom Zentrum mit der Feuerstelle weit in die Ecken ausdehnte. Unter der hohen Decke bemerkte Curtis ein paar Schwalben, die munter zwischen den Balken herumflatterten und segelten.
»Sind alle da?«, fragte Sterling und musterte die Versammelten, die murmelnd bejahten, während sie sich ihre Plätze auf den Holzbänken suchten. Curtis, Brendan, Uhu, Iphigenia und Sterling setzten sich jeweils etwa gleich weit voneinander entfernt mit dem Gesicht zu den zuckenden Feuerzungen. Nur einen der Anwesenden erkannte Curtis nicht; er hatte sich als Letzter zum Kreis gesellt und war aus der Finsternis der Halle gekommen wie ein Geist aus dem Äther. Es war ein grauer Wolf, und er trug die Uniform der Südwaldgarde: eine schneidige khakifarbene Offiziersjacke aus edler Wolle mit Messingknöpfen und einer an der Schulter befestigten Schärpe in den Farben der Südwaldreformation, grün, gold und schwarz. Außerdem hatte der Wolf zwei Rangabzeichen auf der linken Schulter, was auf einen hohen Rang hindeutete, und auf das rechte Revers hatte er sich eigenartigerweise eine Brosche geheftet, die beinahe aussah wie ein kleines Fahrradritzel. Eine schwarze Augenklappe ließ nur noch ein brauchbares Auge des Wolfs frei, und sein linkes Ohr sah halb abgebissen aus.
Iphigenia erhob das Wort. »Meine Freunde, wir erleben schwere Zeiten. Sehr schwere Zeiten. Der Winter hält unser armes, bedrängtes Land im Würgegriff und will nicht loslassen. In eben diesem Moment stehen die braven Bürger Nordwalds um ihre Zuteilungen an und horten die wenigen Lebensmittel, die sie noch auf Vorrat haben, für den schlimmsten Notfall. Seit ich Älteste Mystikerin bin – ach was, seit meiner Zeit als Jährling –, habe ich nicht solche Verzweiflung erlebt.«
Curtis betrachtete die Anwesenden. Uhu nickte ernst, während Sterling Fox einen langen, tiefen Zug aus seiner Tonpfeife nahm. Der seltsame Wolf starrte stumm in den Feuerschein.
»Was ist die Ursache all dessen?«, fuhr die Älteste Mystikerin fort. »Ich habe mit dem Baum gesprochen, aber bisher keine zufriedenstellende Antwort erhalten. Gewiss, der Winter ist unerbittlich in seiner Härte. Doch ich würde es für Nachlässigkeit halten, hier nicht auch einen anderen Verdacht zum Ausdruck zu bringen: dass im Land eine Krankheit herrscht, die tiefer reicht als die Launen des Wetters. Die Unruhen in Südwald sind Gift für uns alle. Und sie müssen an der Wurzel gepackt werden.«
»Unruhen?«, rutschte es Curtis heraus. »Aber was ist mit der Revolution? Sollte die nicht alles in Ordnung bringen?«
Bei dieser Bemerkung hustete der geheimnisvolle Wolf ein vernichtendes Lachen. Sämtliche Blicke richteten sich auf die Gestalt am Feuer.
»Curtis, Brendan«, sagte Iphigenia, »darf ich vorstellen: Korporal Donalbain. Er hat viel riskiert, um hier zu sein. Ich bin mir sicher, dass ihr hochinteressant finden werdet, was er zu erzählen hat.«
Der Korporal schnaufte eine kurze Begrüßung und nahm einen letzten Zug von der zwischen seinen Zähnen klemmenden Pfeife. Rauchwölkchen quollen aus seiner grauen Schnauze, als er den Inhalt der Pfeife in die Pfote klopfte und auf den Boden streute. »Guten Tag«, sagte er. Seine Stimme klang wie ein Metallrechen, der über lockeren Kies gezogen wird. »Nennt mich doch bitte Jack.« Er beugte sich vor und legte die Pfeife auf den Rand der Feuerstelle.
»Korporal Donalbain kommt geradewegs aus Südwald«, erklärte Iphigenia. »Er hat den weiten Weg im Geheimen und zu Fuß gemacht. Seine befehlshabenden Offiziere wissen nicht, dass er hier ist. Er hat seine Stellung – ja, sein Leben – aufs Spiel gesetzt, um uns diese Informationen zu übermitteln. Sein Gewissen hat ihn dazu genötigt.«
»Ist das der Junge?«, fragte Jack und deutete mit der Schnauze auf Curtis. »Und du kennst das Mädchen – das Mischlingsmädchen Prue?«
»Ja.« Curtis rutschte auf der Bank nach vorn. »Geht es ihr gut?«
Der Wolf schwieg
Weitere Kostenlose Bücher