Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Feuerstelle die Halle mit Licht und Wärme versorgten. Sie leuchteten in der Mitte des Raumes wie eine Sonne. Um das Feuer herum machte er unscharfe Gestalten aus; sie kamen langsam auf ihn zu. Rasch setzte er die gesäuberte Brille zurück auf die Nase, und was er nun sah, brachte ihn zum Lächeln.
»Iphigenia!«, rief er. »Herr Fuchs!«
»Hallo Curtis«, erwiderte der Fuchs, dem ein Zahnstocher lässig zwischen den Zähnen hing. Er hielt ihm eine rote Pfote hin, und Curtis schüttelte sie fröhlich.
Iphigenia wartete die Begrüßung ab, und als Curtis sich dann ihr zuwandte, ergriff sie seine Schultern. Ihre grauen, strohigen Haare reichten auf das grobe Gewebe ihres Sackleinengewandes herab. Sie musterte ihn mit ihren grün gesprenkelten Augen. »Du bist ein Stückchen gewachsen, seit ich dich zuletzt gesehen habe, Räuber Curtis«, stellte sie fest. »Aber wie kann das sein?«
Der Junge spürte einen festen Schlag auf den Rücken. Hinter ihm stand Brendan und grinste. »Das machen ein paar Monate straffes Räubertraining.«
»Willkommen bei uns, Räuberkönig«, sagte Iphigenia, ohne den Blick von Curtis zu nehmen. Als sie endlich zufrieden mit ihrer Begutachtung schien, verneigte sie sich vor Brendan.
»Hmmpf«, machte Sterling Fuchs unwirsch. »Wenn mein Großvater Chester das noch erlebt hätte: Wildwaldräuber in Nordwald.« Die zarteste Andeutung eines Lächelns umspielte seine Schnauze.
»Wohl wahr!«, rief Brendan, die Hände in die Hüften gestemmt. Demonstrativ inspizierte er das Innere der langen Halle. »Ich will doch hoffen, ihr führt genau Buch über alle Wertgegenstände, die ihr hier bunkert«, sagte er. »Ich hab zwar nicht vor, euch auszunehmen wie eine Weihnachtsgans, aber für meinen Kameraden hier kann ich nicht garantieren.« Curtis bekam einen spielerischen Knuff. »Ein Eins-a-Taschendieb. Könnte der Konkubine eines Sultans den Nasenring klauen!«
»Er macht nur Spaß«, erklärte Curtis peinlich berührt. »Wir nehmen nichts.« Er hielt inne, dann setzte er hinzu: »Aber stimmt, darin bin ich inzwischen ganz gut.«
»Sehr beeindruckend, mein Junge«, sagte Iphigenia. »Du hast dich gut ins Räuberleben eingefügt.«
»Allerdings braucht er noch etwas Nachhilfe im Reiten, wie ich hörte.« Das war Uhu Rex, der einen riesigen Flügel um Curtis ’ Schultern legte.
»Woher wissen Sie das?«, fragte Curtis verlegen.
»Wir haben Augen. Immerhin sind wir die Geschöpfe der Luft.«
Brendan betrachtete seinen Lehrling mit Stolz. »Er kriegt den Bogen schon noch raus, da habe ich keinen Zweifel.«
»Aber kommt doch!« Iphigenia nahm Curtis ’ Hand. »Zur Feuerstelle. Wir haben viel zu besprechen und nur sehr wenig Zeit.« In ihrem Blick lag eine neue Traurigkeit, das war nicht zu übersehen. Sie schien seit ihrer letzten Begegnung unfassbar alt geworden zu sein. Ihre Finger fühlten sich in seiner Hand an wie zerbrechliche Zweige. Als würden sie beim leichtesten Druck zu Asche zerbröseln.
Iphigenia bemerkte seinen besorgten Blick. »Das ist die Rationierung, mein Junge«, sagte sie traurig. »So etwas fordert von alten Knochen seinen Tribut.« Sie deutete mit ausgemergelter Hand in die Halle. » › Nun ward der Winter unsers Missvergnügens‹. Einer eurer Außenweltdichter hat das geschrieben, glaube ich. Es sind harte Zeiten im Norden, und wir sind nicht allein in unserem Unglück.«
»Das hat der Reiher, also Maude, auch gesagt. Sie sagte, Prue ist in Gefahr. Was ist geschehen?«, stieß Curtis hervor, der seine Neugier nicht länger zügeln konnte.
Iphigenias runzliges Gesicht verzog sich bedrückt. »Ja, richtig«, murmelte sie. »Das ist unsere Hauptsorge. Aber es ist nur eine der Auswirkungen eines größeren Problems.«
Das Grüppchen ging nun auf die Hitze des Feuers zu, das in einem Steinkreis loderte und von niedrigen Bänken umgeben war. Der warme Schein der Flammen warf zuckende Schatten in die halbdunkle Halle, und Curtis sah geisterhafte Gestalten am Rande des Lichts herumstehen.
»Was ist das hier für eine Halle?«, fragte Curtis, als er von Uhu Rex zu einer Bank geleitet wurde. Eine der Schattengestalten glitt in Sicht, mit einem Glas und einem Wasserkrug in Händen. Es war ein Junge, und er trug ein ähnliches Gewand wie Iphigenia. Schweigend reichte er Curtis das Glas und goss es voll.
»Die Große Nordhalle«, antwortete der Uhu und setzte sich Curtis gegenüber auf die andere Seite der Feuerstelle. »Zu meines Großvaters Zeiten war es ein
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