Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Dollar. Und nimm noch ein Glas Chutney mit, wenn du schon da bist.«
»Warum bestellen wir nicht einfach gleich alles dort«, murmelte Prue.
»Hey!«, meldete sich ihr Vater aus dem Wohnzimmer, wo er eine Zeitschrift las. »Selbst gekochtes Essen. Die Spezialität deiner Mutter.«
Mac saß zu seinen Füßen auf dem Boden und kaute am zernagten Ende eines Essstäbchens. »Puuuh!«, sagte er.
Prue verdrehte die Augen. »Bin gleich wieder da.«
Wie sie schon von ihrem Fenster aus bemerkt hatte, war es inzwischen sehr windig. Es fühlte sich an, als wäre die Temperatur um mehrere Grad abgesunken, und Prue experimentierte mal wieder mit neuen Methoden, den Schal um ihren Hals zu wickeln. Nichts davon funktionierte zur Zufriedenheit, also knotete sie das dicke Strickteil einfach am Kinn zu und schob die Hände tief in die Jackentaschen. Der indische Imbiss war acht Straßenblocks entfernt, doch bei dem kalten Wind und dem einsetzenden leichten Eisregen kam Prue die Entfernung unendlich vor. Ihrer Schätzung nach war es erst halb sieben, und doch war die Dunkelheit überall. Argwöhnisch suchte sie im Gehen das Gebüsch nach Bewegungen ab. An einer Kreuzung blieb sie kurz stehen und lauschte ein paar Eichen, um ihre Stimmung einzuschätzen. Das Geräusch, das sie hörte, hatte Ähnlichkeit mit einem Bienenvolk, wenn man es freundlich gelaunt in einer großen Schlammpfütze schwimmend antraf. Es verlief in trägen Wellen. Aus irgendeinem Grund gab es ihr das nötige Zutrauen, weiterzugehen. Doch da fiel ihr etwas ein: War das Schreien des Besenginsters eine Warnung gewesen? Aber vor was? Dem Fuchs?
Ein Knacks von oben. Prue riss den Kopf hoch. Ein Ast war unter dem Gewicht des schweren, nassen Schnees abgebrochen und in die Zweige darunter gestürzt. Der Baum stieß ein hörbares Ächzen aus. Doch der Schreck fuhr Prue in die Glieder wie ein Stromschlag, und sie brauchte fast bis zur nächsten Querstraße, bis sie ihn abschütteln konnte.
Vor ihr lag pechschwarze Finsternis. Zwar konnte sie bereits die warmen, erleuchteten Fenster des Lokals in der Ferne sehen, doch die Straßenlaternen auf dem letzten Wegstück waren offenbar kaputt. Prue blieb kurz stehen, holte tief Luft und trat in die Dunkelheit. Und in dem Augenblick begannen die Bäume, zu schreien.
HHHHHHHHHHHHHHHHHHHH!
PHHHHHHHHHHHHHHHHHHH!
Prues Herz machte einen Satz. Instinktiv rannte sie los, auf das Restaurant zu, das jetzt nur noch ein paar Blocks entfernt war. Irgendetwas kam krachend durch das niedrige Gebüsch eines leeren Grundstücks geschossen und lief nun hinter ihr her. Sie hörte Keuchen und hastige Schritte. Ihr Verfolger bellte sie wütend an, aber Prue gestattete sich nicht, sich umzudrehen, sondern hielt den Blick fest auf die Sicherheit verheißenden, erleuchteten Fenster des Imbisses gerichtet. Immer noch brüllten die Bäume in voller Lautstärke, und ihre Stimmen pfiffen in Prues Kopf wie heißer Dampf in einem Kessel. Der Lärm betäubte ihren Verstand, wie schon vorhin am Kliff, und sie kämpfte gegen die Ohnmacht an. Falls die Bäume versuchten, sie zu schützen, war ihnen die Kraft und Intensität ihrer Stimmen nicht bewusst.
Prue stolperte und sie stürzte.
Wie der Blitz stürzte sich das Wesen auf sie.
Es klemmte sie auf den Bürgersteig – ein schwarzer Fuchs, das Fell vom kalten Niederschlag verklebt. Er schnappte nach Prues Gesicht. Der Geruch von modrigem Laub schlug ihr entgegen.
Und Patschuli.
»Hab dich«, zischte der Fuchs. Die Stimme war weiblich, vertraut.
»Miss …«, keuchte Prue, sie bekam kaum Luft, weil das Gewicht des Tieres auf ihren Brustkorb drückte. »Miss Thennis?«
Der Fuchs lächelte, falls man das von einem Fuchs sagen konnte. »Bitte«, sagte er mit verschlagener Stimme. »Nenn mich doch Darla.«
Immer noch schrien die Bäume.
»Tut mir leid, dass ich dir das antun muss, Kleine«, sagte der Fuchs. »Ich bemühe mich, es schmerzlos zu machen.«
Prue kniff die Augen zu, der Augenblick schien eine Ewigkeit zu dauern. Sie wartete darauf, dass die Zähne einsanken, dass die Krallen einschnitten.
Da kam ein gewaltiger Windstoß auf, und die Bäume verstummten, als wären sie überrascht. Ein Schrei von oben: »GAAAAH!« Unvermittelt wurde das Gewicht von Prues Brust gehoben, und ihr Atem kehrte mit Macht zurück. Ein Seitenblick zeigte ihr, dass der schwarze Fuchs quer über den Bürgersteig geschleudert worden war. Ächzend stand Prue auf, während der Fuchs verzweifelt versuchte, wieder auf
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