Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
bisschen sacken lassen müssen. Im Kopf.« Sie lehnte sich zurück und wischte sich die Hände an ihrem zarten, blumengemusterten Kaftan ab. Die Stille im Raum wurde nur hin und wieder von der Kellnerin unterbrochen, die scheppernd ihr Heer von Krügen und Bechern jonglierte.
»Klar«, sagte Prue. »Ich weiß ja, das ist alles ein bisschen viel, aber ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schön es ist, den ganzen Kram mal jemandem außer meinen Eltern anzuvertrauen. Es hat mich wahnsinnig gemacht.«
Darla gestattete sich ein Lächeln. »Kein Problem. Aber du musst jetzt los, oder? Soll ich dich nach Hause begleiten?«
»Ja, gern, Danke.«
Schweigend liefen sie über den nassen Bürgersteig, mit vor Kälte hochgezogenen Schultern. Der Sturzbach von Worten und Gefühlen, der im Café geradezu aus ihr herausgesprudelt war, bedrückte Prue jetzt. So wie bei einem allzu mächtigen Dessert, das man ohne nachzudenken verschlang, erst nach dem letzten Löffel die Reue einsetzte, fragte Prue sich nun, ob es tatsächlich die beste Idee gewesen war, ihr wildes Abenteuer in der Undurchdringlichen Wildnis zu beichten. Ohne den Kopf zu drehen, schielte sie seitlich nach Darla, die in ihre eigenen Gedanken versunken neben ihr herlief. Was würde jetzt passieren? Würde Darla Prues Bitte respektieren, nichts zu verraten? Würde sie zur Polizei gehen? Oder zu Curtis ’ Eltern? Prues Nase brannte im eisigen Wind, und sie zog den Schal höher über die Wangen. Vielleicht wäre das ja letzten Endes das Beste. Vielleicht war es falsch von ihr gewesen, den Mehlbergs nichts zu erzählen und sie über den Verlust ihres Sohnes verzweifeln zu lassen.
Curtis. In was hatte Prue den armen Jungen da nur reingezogen? Was für ein wildes Leben unter Räubern führte er jetzt wohl? Wären sie als Eltern ausreichend? War Brendan wirklich das richtige Vorbild für einen Jungen …
Unvermittelt fiel Prue etwas ein. Es offenbarte sich plötzlich wie die verblüffend einfache Lösung zu einem Rätsel, über dem man seit Stunden grübelt. Und es jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken.
»Hey«, sagte sie. »Darla.«
»Ja?«
»Vorhin im Café haben Sie seinen Namen gesagt.«
»Wessen Namen?«
»Brendans. Den des Räuberkönigs.«
»Mhm. Und? Heißt er nicht so?«
Prue bohrte die Hände tiefer in ihre Jackentaschen. »Schon, aber …«
»Aber was?«
»Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen seinen Namen gesagt zu haben. Davor.«
Stille. Ein Auto fuhr vorbei. Ein gedämpfter Bass wummerte aus dem Inneren.
»Das hast du wohl aber«, sagte Darla.
»Ich glaube nicht.«
Darla lachte kurz auf. »Ach, Prue. Du hast eine Menge durchgemacht. Du bist einfach verwirrt. Das ist total verständlich. Hier, ist das nicht euer Haus?«
Die vertraute Veranda schimmerte vor ihnen auf.
»Ja«, sagte Prue. »Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht muss ich mal ein bisschen abschalten.« Sie sah Darla in die Augen, die in der unbeleuchteten Straße schwarz und leer wirkten, und streckte den Arm aus. »Danke. Fürs Zuhören.«
Darla ergriff mit beiden Händen Prues Finger und drückte sie fest: »Gern geschehen. Bis morgen.«
Prue zog ihre Hand zurück und stieg die Stufen zur Haustür hinauf. Aus dem Wohnzimmer fiel Licht auf den Garten, und eine vergessene Weihnachtskette blinkte am Geländer. Prue fühlte sich etwas verunsichert. Vor der Tür blieb sie mit der Hand auf der Klinke stehen und drehte sich um. Miss Thennis stand immer noch auf dem Bürgersteig, das Gesicht von der Dunkelheit verborgen. Sie winkte. Prue winkte zurück und ging ins Haus.
Die Beklommenheit, die sie spürte, verschwand im selben Moment, als sie in den Flur trat. Es empfing sie ein Geruch, der so stechend und aufdringlich war, dass er alle anderen Gedanken aus ihrem Kopf verscheuchte. Essiggurken. Sie rümpfte die Nase und rief: »Was ist das denn?«
Aus der Küche tauchte ihr Vater auf, mit langen Gummihandschuhen und einem bemoosten grünlichen Klumpen in den Fingern. »Ah, hallo Schätzchen«, sagte er. Schnell verschwand er wieder in der Küche. Prue zog die Jacke aus, schüttelte die Gummistiefel ab und folgte ihm. »Was ist das für ein Geruch?«, wollte sie wissen.
Ihre Eltern standen beide in der Küche und starrten einen großen braunen Keramiktopf mitten auf dem Korkfußboden an.
»Essiggurken«, erklärte ihre Mutter. »Vergessene Essiggurken.«
Ihr Vater lächelte verlegen. »Erinnerst du dich noch an die Gurken, die wir Ende September auf dem Bauernmarkt
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