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Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy , Carson Ellis
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ging wieder voran, doch als sie den Absatz erreichte, wo die Treppe eine 180-Grad-Biegung machte, bedeutete sie Elsie mit einer hektischen Handbewegung, stehen zu bleiben. Eine Frau sprach unten. Ihr Tonfall klang fest und tadelnd. Elsie stellte sich neben ihre Schwester, drückte sich ans Geländer und lauschte.
    »Edward«, sagte die Frau. Es handelte sich zweifellos um Miss Mudrak, dem starken Akzent nach zu urteilen. »Erst jetzt bist du fertig? Ist schon fast Schlussglocke.«
    »Entschuldigung«, entgegnete eine Kinderstimme. Elsie nahm an, es wäre der Junge, den sie vorhin beim Putzen gesehen hatten. »Beim nächsten Mal bin ich schneller, versprochen.«
    »O ja, sonst geht es zurück in Fabrik.«
    »Jawohl.«
    Eine dem Klang nach große Tür, die sich öffnete und schloss, unterbrach das Gespräch. Dann: Schritte im Korridor. Elsie und Rachel hörten, wie Desdemona Edward wegschickte. Jetzt wandte sie sich an den Neuankömmling. »Liebling, siehst du erschöpft aus.«
    Die Stimme des Mannes klang tatsächlich müde. »Langer Tag. Frag nicht.«
    »Und, hast du gesprochen mit Mr. Wigman?«
    »Na ja, Schatz«, sagte der Mann geknickt. »Mr. Wigman hatte keine rechte Lust zu sprechen. Sagen wir es mal so.«
    »Joffrey, Joffrey.« Elsie und Rachel sahen einander an. Das musste der Inhaber des Waisenhauses persönlich sein. Desdemona fuhr fort. »Bitte. Musst du entspannen. Gib mir deinen Mantel.« Ein Rascheln, als ein großer Mantel über einen Haken gehängt wurde. »Aber du hast den Film erwähnt, ja?«
    Eine Pause folgte. »Ach, den Film«, sagte Joffrey. »Nein, hab ich nicht.«
    »Aber Liebling, wenn wir Leben verändern wollen, müssen wir … müssen wir … aktiviert werden?«
    »Aktiv, Desdemona«, sagte Joffrey. »Wir müssen aktiv werden. Und ich bin schon so aktiv, wie ich kann.«
    Die Stimmen bewegten sich von ihnen fort, wodurch die Mehlberg-Schwestern gezwungen waren, sich langsam mit dem Rücken zum Geländer vor zur Treppe zu schieben. Elsie spähte zwischen den Pfosten hindurch und konnte die beiden Erwachsenen gemächlich zu einer breiten Tür am anderen Ende des Korridors laufen sehen. Desdemonas langer Arm lag um Joffreys gebeugte Schultern. Er war mindestens fünfzehn Zentimeter kleiner als seine Gefährtin.
    »Und was ist mit Visum?«, fragte Desdemona. »Wann können wir besorgen?«
    »Visum?«
    »Für Boschek.«
    »Ach ja, Boschek. Der verehrte Filmemacher. Erklär es mir noch mal: Warum kann er sich nicht selbst eins beschaffen?«
    Desdemonas Stimme tropfte wie Kirschsirup. »Liebling, also wirklich. Du weißt doch: Er hat Kunstfilm gemacht und Eimer Farbe über Freiheitsstatue gekippt. Es ist wunderschön, er wird deportiert. Aber ist Pech für Amerika, er ist großer Künstler. Ukrainischer Spielwerg.«
    »Genau, so war das.«
    »Du hast gesagt, du sprichst mit Mr. Wigman. Er hat Beziehungen bei Einwanderungswehörde.«
    »Ja, das mach ich schon noch.«
    Sie hatten die Tür erreicht. Elsie und Rachel standen inzwischen auf der untersten Stufe der Treppe. Halb vom Geländer verdeckt beobachteten sie, wie Joffrey einen dicken Schlüsselbund aus der Hosentasche zog. Er sperrte die Tür auf. Dahinter konnte Elsie eine Art Büro erkennen, mit Regalen bis zur Decke hinauf. Seltsamerweise standen nur wenige Bücher in den Regalen, vielmehr waren sie voller unterschiedlich großer Konservengläser und Behälter mit bunten Flüssigkeiten und Pulvern. Das Paar stand einander gegenüber im Türrahmen.
    »Du machst schon noch«, wiederholte Desdemona sichtlich wenig begeistert. »Liebling, das ist deine große Chance. Hör auf mit dieser Maschinenteilsache. Werde dein Traum von Kindheit: Filmproduzent. Ja? Das ist Ziel, was man im Auge behalten muss, ja?«
    »Ja, Desdemona«, sagte Joffrey.
    »Wer braucht Geschäftstitanen? Sei Filmtitan!«
    »Ja, Desdemona.«
    »Dann sprichst du mit Mr. Wigman?«
    »Ja, ich spreche mit Wigman.«
    »Und du besorgst Visum?«
    »Ja, mache ich.«
    »Gib mir Kuss, mein kleiner Kapusta .«
    Der Mann tat, wie ihm geheißen, und Desdemona tätschelte ihm zärtlich die Wange, als sie den Kopf zurückzog. »Und jetzt musst du arbeiten, ja?«
    »Ja. Jeden Tag einen Schritt voran.«
    Miss Mudrak hielt inne. »Hat letzte Tinktur nicht funktioniert?«
    »Nein«, sagte Joffrey. »Überhaupt nicht.«
    »Oh. Wie schade. Und das Versuchsobjekt?«
    »Weg.«
    Noch eine Pause. »Aha. Wirklich schade. Tja, du musst gleich wieder auf Huhn steigen, Joffrey, Liebster.«
    »Genau.«

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