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Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy , Carson Ellis
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Joffrey drehte sich um und ging in das Zimmer mit den Regalen. »Wir satteln wieder die Hühner.« Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
    Elsie und Rachel erstarrten zu Stein, als Desdemona sich zu ihnen umdrehte und den Flur entlang ging. Sie hatten so gebannt dem Gespräch der beiden Erwachsenen gelauscht, dass sie ganz versäumt hatten, ihre Flucht zu planen. Wenn sie jetzt eine hastige Bewegung machten, würden sie mit Sicherheit entdeckt – und Miss Mudrak kam genau auf sie zu. Elsie hatte keine Ahnung, welche Strafe im Waisenhaus auf Lauschen stand, aber sie vermutete, dass sie nicht gerade milde wäre. Sie spürte, wie ihre Schwester hinter ihr sich verkrampfte. »Rachel«, zischte sie. »Was sollen wir denn …«
    Das letzte Wort ihrer Frage war nicht zu verstehen, denn plötzlich läutete eine sehr laute Glocke, sodass der gesamte Flur von ihrem metallischen Scheppern widerhallte. Elsie und Rachel konnten sie sehen, sie hing mitten im Korridor hoch oben an der Wand. Selbst Desdemona zuckte bei dem Lärm zusammen. Das Klingeln dauerte schier endlos, und Miss Mudrak starrte die Glocke mit in die Hüften gestützten Händen an, als wollte sie sie dadurch zum Schweigen bringen. Genau diese Ablenkung aber ermöglichte den Schwestern die Flucht, sie rannten die Treppe hinauf und zurück in den Mädchenschlafsaal.
    Kaum waren sie in ihre Betten gestiegen und hatten eine unauffällige Position eingenommen (Elsie setzte die Unerschrockene Tina auf den Deckenberg, Rachel stopfte sich die Stöpsel zurück in die Ohren), da schreckte sie ein rhythmisches Trampeln schon wieder auf: Der Klang einer Horde von Füßen auf den Treppenstufen. Die Schlafsaaltür flog auf, und herein kam ein Trupp ausgezehrter Mädchen, die Haare zerzaust und die Gesichter mit schwarzen Ölstreifen verschmiert. Sie waren unterschiedlich alt, manche sahen jünger als Elsie aus, die Ältesten waren eindeutig schon Teenager. Aber sie alle hatten die Haltung abgekämpfter Erwachsener: hängende Schultern, gefurchte Stirnen in bleichen Gesichtern. Außerdem trugen alle dieselben grauen Overalls, die ebenfalls Ölflecke aufwiesen, und ihre Hände waren schwarz von Ruß. Die beiden neuen Bewohnerinnen beachteten sie gar nicht, sondern marschierten schnurstracks zu ihren Betten und setzten sich schwerfällig. Jede hatte eine kleine Butterbrotdose aus Metall bei sich, die sie unter ihre Pritsche stellte. Manche legten sich voll angezogen hin und schienen sofort einzuschlafen. Andere stützten den Kopf in die Hände und blieben einfach so sitzen. Wieder andere unterhielten sich im Flüsterton mit ihren Bettnachbarn. Die Schritte im Flur hörten unterdessen nicht auf. Elsie sah eine lange Schlange von Jungen – in die gleichen Overalls gekleidet – an der Tür vorbei zu ihrem Schlafsaal ein Stockwerk höher gehen. Rachel und Elsie sahen einander an. Es war, als wären Gespenster in das Zimmer eingefallen.
    »Pssst.«
    Das Zischen kam vom Bett neben Elsie. Ein asiatisch aussehendes Mädchen in Elsies Alter schob sich eine Plastikschutzbrille auf die Stirn hoch, sodass inmitten der schwarzen Schmierölflecken ein heller Streifen um die Augenpartie erschien. Die Haare des Mädchens waren vom Schweiß etwas verklebt und unter den Gummibändern der Brille zerknautscht. »Wie heißt du?«, fragte das Mädchen.
    »Elsie.« Instinktiv streckte sie dem Mädchen die Hand entgegen, doch es lächelte nur, hielt die Finger in die Luft und schüttelte den Kopf: Es war kein Fleckchen sauberer Haut darauf. Elsie zog den Arm zurück.
    »Ich bin Martha. Martha Song.« Ihre Stimme klang müde, aber selbstbewusst. »Willkommen in der Fabrik.«
    »Du meinst im Waisenhaus?«
    Martha lachte. »Ach, stimmt ja. Ich vergesse immer, dass sie es auch so nennen.«
    »Bist du eine Waise?«, fragte Elsie verwirrt.
    »Waise? Ha. Hier wird niemand adoptiert.«
    »Echt? Aber ich dachte …«
    Der Lautsprecher über der Tür knackte laut. »BSSSST KRRRRK ZZZZZ RUHE IM SCHLAFSAAL.«
    Die Mädchen gehorchten, es wurde still. Nach einem kurzen Rückkopplungskreischen meldete sich der Lautsprecher wieder, allerdings hatte nun eine andere Stimme übernommen. Es war Desdemona. »Achtung im Mädchenschlafsaal: Wir haben heute zwei Neuzugänge, Rachel und Elsie Mehlwerg. Betten dreiundzwanzig und vierundzwanzig.« Ein geräuschvolles Klicken, dann verstummte der Lautsprecher.
    Alle drehten sich zu Rachel und Elsie um. Rachel zog ein finsteres Gesicht unter ihren Haaren und nestelte nervös an

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