Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy , Carson Ellis
Vom Netzwerk:
leuchtenden Mandalas. Im Schneidersitz saß sie da und hielt den Gegenstand auf Höhe ihres Herzens. Um sie kreisten vier weitere Objekte, von denen Iphigenia drei sofort erkannte: Es waren die Drei Bäume des Waldes. Der Ratsbaum mit seinem in warmen Brauntönen gemaserten Stamm stand links von ihr, rechts der Morsche Baum, dessen Äste krumm und verschrumpelt waren. Und über ihr hing der Beinhaus-Baum, der Baum, in den alle Mystiker nach ihrem Tod aufstiegen. In seiner Krone pulsierte ein weiches Licht. Unter ihr aber war etwas ihr Fremdes. Es war ebenfalls ein Baum, aber seine Identität war der Ältesten Mystikerin ein Rätsel. Die Elemente des Mandalas waren durch ein zartes goldenes Netz miteinander verknüpft, eins mit dem anderen, ein Symbol dafür, dass alles im Wald miteinander verbunden war. Und in der Mitte, so erkannte Iphigenia, befand sich der Gegenstand in ihrer Hand. Wie in ihrem Traum öffnete sie die Finger. Doch nun war das Zahnrad fort. Stattdessen hielt sie ein lebendiges, schlagendes Herz.
    Das Herz eines Jungen.
    In diesem Augenblick versank das Bild wieder in Dunkelheit. Das Mandala löste sich auf, und an seiner Stelle spürte sie Schattengestalten vordringen, Gestalten, die danach streben würden, zu zerstören, was sie in Händen hielt – oder schlimmer noch, es für ihre eigenen bösen Zwecke zu gebrauchen. Die Gestalten wirbelten um sie herum und schnappten nach ihr, versuchten, ihre Wachsamkeit zu durchbrechen. Mit aller ihr zur Verfügung stehenden Macht rief sie sich aus ihrer Vision heraus und begann, zur Oberfläche ihres Bewusstseins zu schwimmen.
    Die Dunkelheit folgte ihr.

    Prue schrie und schlug mit den Armen um sich.
    Im letzten Moment gelang es ihr, sich an einem ausgefransten Seil festzuhalten, das von der abgeschnittenen Brücke herabhing, und einen Sekundenbruchteil später prallte sie heftig gegen die Felswand. Vor Schmerz jaulte sie laut auf, ihr Arm fühlte sich an, als würde er ihr aus der Schulter gerissen. Sie kniff die Augen ganz fest zusammen und weigerte sich, in den Abgrund unter ihren baumelnden Füßen zu blicken. Mühsam reckte sie die freie Hand nach oben und tastete nach einem Spalt im Fels. Er hielt stand, und sie zog sich langsam zur Kante hinauf, wo ihr eine Hand entgegengestreckt wurde. Sie gehörte einem der jüngeren Nachwuchsräuber, und Prue ergriff sie dankbar. Gemeinsam krochen sie auf die sichere Holzplattform.
    Sobald sie das allerdings geschafft hatten, war der Junge schon wieder auf den Beinen und rannte dem Trupp Läufer hinterher. Prue klopfte sich Erde und Steinchen von den Händen und nahm die Verfolgung auf.
    Die noch verbliebenen Teilnehmer – es waren etwa sechs, Curtis im Mittelfeld – hüpften zwischen einer Reihe von Terrassen hin und her, die als Freiluft-Vorräume für Räuberbehausungen in der Felswand dienten. Am schnellsten kamen diejenigen voran, die bereit waren, ihr Leben zu riskieren, indem sie, statt die Leitern zu benutzen, von Sims zu Sims sprangen. Prue war abgekämpft. Ihr Beinahe-Sturz hatte ihr ziemlich zugesetzt und ihr einiges von ihrem Schwung geraubt. Gerade hatte sie den dritten Absatz in Folge erklommen und sah die Gruppe um eine Ecke herum verschwinden, als sie ein Flüstern hörte.
    »Pssst.«
    Prue wandte sich um. Im Schatten eines langen Felsbogens stand ein kleines Mädchen von vielleicht sechs Jahren. Es bedeutete Prue, ihr zu folgen. Der Felsbogen erwies sich als Öffnung in der Steilwand, ein Eingang zu einem kurzen Tunnel, der auf die andere Seite des Felsens führte und so schmal war, dass Prue sich seitwärts drehen musste. Am Ende des Durchgangs zeigte das Mädchen auf einen Holzsteg an der Steilwand entlang, der in einiger Entfernung an einer Steintreppe endete. Und dort auf der obersten Stufe sah Prue etwas im Wind flattern: die vierte Wegmarkierung! Sie bedankte sich bei dem Mädchen und trat auf den Steg.
    Sie musste vorsichtig gehen, Schritt für Schritt, da der Weg eigentlich nur aus zwei nebeneinandergelegten Brettern bestand, deren Enden gefährlich in den kleinen Vertiefungen des Steins schwankten. Diese Planken schienen älter der Rest des Räuberlagers zu sein, und sie waren mit einer glitschigen Schicht Moos bedeckt und bogen sich bei jedem Schritt mit einem bedenklichen Ächzen stark durch. Ein Blick nach unten verriet ihr, dass sie vermutlich nicht tief fallen würde: Der Felsspalt unter den Balken war so eng, dass sie wahrscheinlich nach höchstens zehn Metern stecken bleiben

Weitere Kostenlose Bücher