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Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy , Carson Ellis
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sehen, aber sie war nicht leicht zu erreichen. Der Spalt im Fels, der sie von der Flagge trennte, war mindestens sechs Meter breit, eindeutig zu weit zum Springen.
    Die Fahne stand auf einer kleinen Felsnase, und Prue betrachtete sie atemlos. Es musste möglich sein, sie zu erreichen, überlegte sie – denn wie war sie sonst dorthin gekommen? Sie sah sich um: nichts von einer Brücke oder Seilrutsche zu entdecken. Es war, als wäre jemand auf die Felsnase geflogen und hätte die Flagge dort deponiert, aber das war unlogisch. Die Hilfe eines Vogels in Anspruch zu nehmen, wäre Unsinn, denn die Nachwuchsräuber selbst hätten diese Möglichkeit ja nicht. Während sie noch rätselte, holten die anderen sie ein. Es waren nur noch fünf übrig, die beiden frechen Jungen, die vorher die Seilbrücke abgeschnitten hatten, Curtis, Aisling und ein weiteres Mädchen. Völlig außer Atem kamen sie bei Prue an.
    »Da ist die Fahne!«, rief einer der Jungen.
    Curtis starrte Prue an. »Ich dachte, du hättest aufgegeben! Wie bist du …«
    »Das Talent einer geborenen Räuberin eben«, sagte Prue.
    Mit vor der Brust verschränkten Armen und finsterem Blick schaute Aisling hinüber. »Da kommen wir niemals hin. Wie haben sie das Ding da überhaupt hingekriegt? Das ist doch gegen die Regeln. Oder so.«
    »Es gibt keine Regeln«, erinnerte Curtis sie.
    »Bis dann, ihr Penner!«, rief einer der Jungen und rannte einen Pfad an der Kante der Schlucht hinunter, dicht gefolgt von seinem Freund.
    »Wo wollen die denn hin?«, fragte das jüngere Mädchen.
    »Keine Ahnung«, meinte Aisling. »Aber ich schätze mal, die wissen, was sie tun. Wir sehen uns auf der anderen Seite!« Und damit rannte sie den beiden Jungen hinterher. Das jüngere Mädchen warf Prue und Curtis noch einen Blick zu, dann lief es ebenfalls los.
    »Also?«, sagte Prue.
    »Also«, sagte Curtis.
    »Hast du eine Idee?«
    Curtis rieb sich das Kinn. »Eigentlich nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht der richtige Weg ist. Ich war schon mal in diesem Teil der Schlucht, und ich glaube, da geht es nur runter zur Kantine.« Er stützte die Hände in die Hüften und spähte über die Kante. »Nein, sie müssen zurückgegangen und den Spalt an einer anderen Stelle überquert haben. Mist.« Er wollte auf den Boden spucken, stellte sich aber ziemlich ungeschickt an, sodass ihm ein zäher Faden an der Lippe hängen blieb.
    »Schick«, meinte Prue sarkastisch.
    Curtis errötete und wischte sich die Spucke ab. »Das übe ich gerade.«
    »Hast du das gehört?«, fragte Prue unvermittelt.
    Curtis erstarrte. »Was denn?«
    »Dieses … Stöhnen.« Prue sah Curtis an, aber er zuckte die Achseln.
    »Ich kann nichts hören«, sagte er.
    Da grinste Prue breit. »Aber natürlich nicht!« Jetzt erst hatte sie den Klang der Stimme erkannt. Sie spähte in den Abgrund und entdeckte hinter einem großen Stein einen schmalen Vorsprung, der am steilen Abhang entlang um eine scharfe Kurve bog. Nachdem sie vorsichtig über den Fels gekrochen war, schob sie sich mit dem Rücken zur Wand auf dem Vorsprung weiter, bis sie eine Stelle erreichte, wo ein junger Großblättriger Ahorn, der aus dem Stein wuchs, eine Art Brücke über einen engen Abschnitt des Spalts bildete. Er stöhnte kummervoll.
    »Jemand muss das arme Ding umgebogen haben, damit man drübergehen kann«, stellte Prue fest. Tröstend legte sie die Hand auf seine Rinde.
    Curtis war ihr gefolgt und stand nun hinter ihr. »Was? Hast du etwa … den Baum gehört?«
    »Na ja, das kann ich, seit der Schlacht am Sockel. Ich kann … Ich kann Pflanzen reden hören.«
    Curtis schlug sich auf die Stirn. »Im Ernst? Prue McKeel? Du kannst mit Pflanzen sprechen?«
    »Nein, so richtig sprechen kann ich nicht mit ihnen. Aber ich kann sie hören. Es ist komisch. Ich hab es noch fast niemandem erzählt.«
    »Ist ja auch egal!«, rief Curtis. »Nächster Halt: fünfte Wegmarkierung!« Er dachte kurz nach, bevor er auf den Stamm kletterte. Dann wandte er sich zu Prue um und winkte sie zu sich. »Nach dir. Immerhin hast du den Weg gefunden.«
    »Sehr zuvorkommend«, sagte Prue und stieg behutsam auf die Baumbrücke. Sie dankte dem Ahorn wortlos, während sie die Kluft überquerte.

    Der Nachmittagshimmel färbte sich unheilvoll grau. Iphigenia passte auf, dass die jungen Schüler – Jährlinge wurden sie genannt – von den anderen Mystikern in Sicherheit gebracht wurden. Einer von ihnen, ein kleiner Junge, musterte Iphigenia forschend.

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