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Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy , Carson Ellis
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Schatten auf den Boden zu seinen Füßen warf.
    Prue sah interessiert zu; sie kam nicht ganz dahinter, wie er mit so einfachen Mitteln die Uhrzeit bestimmen konnte, aber trotzdem sagte er kurz darauf: »Zwölf Uhr. Seid Ihr bereit? Das Rennen beginnt!«

    Der Ratsbaum, so hieß es, war der erste Baum im Wald. Ja, viele glaubten sogar, dass er der allererste Keimling war, der spross, als die Welt noch ein Feuerball war. Und genauso stark stand er da, als die Erde von Eis bedeckt war. Und als die große Flutwelle kam, nachdem der Eisstoß gebrochen war und das Columbiabecken unter Wasser stand, da überlebte der Baum und gedieh. Er allein wachte über den Ausbruch von Leben, der um ihn herum stattfand: eine Flut von Arten, alle durchdrungen von Magie. Einer Magie, die, so glaubte man, dem hölzernen Muskel des Baums selbst entsprang.
    Iphigenia versäumte nie, über den Ursprung des Baumes zu sinnieren, wenn sie sich auf eine Ratsversammlung vorbereitete, auch wenn ein Großteil der Geschichte noch immer von Geheimnissen und Mythen umwittert war. Selbst der Baum konnte nichts über seine Anfänge sagen, denn diese Ereignisse lagen so weit zurück, dass sie zu tief in seinem Gedächtnis vergraben waren, um sie zutage zu fördern. Was die Sache noch komplizierter machte, war, dass der Baum nicht in Worten sprach, wie viele der jüngeren Pflanzen des Waldes. Vielmehr bestand seine bevorzugte Art der Kommunikation aus Eindrücken und Bildern, Metaphern und Symbolen, da der Ursprung seiner Mitteilungen älter war als die Sprache. Es war Iphigenias Aufgabe als Älteste Mystikerin, diese geahnten, empfundenen Bilder zu interpretieren und die Botschaft weiterzugeben, die der Baum zu verkünden wünschte.
    Als sie nun die Lichtung erreichte, sah sie die feierlichen Gestalten der anderen zehn Mystiker um den Baum versammelt. Sie begrüßte sie alle herzlich. Wie Iphigenia selbst erzählten sie von unruhigen Träumen in der vergangenen Nacht, auch wenn keiner von ihnen sie genau beschreiben konnte, da die Bilder zu flüchtig und abstrakt gewesen waren. Ihre Unfähigkeit, sich an die Träume zu erinnern, passte zu ihrem Verständnis der Mitteilungsweise des Ratsbaums. Für Iphigenia war das ein weiterer Beweis, dass der Baum die Träume gesandt hatte. Von den versammelten Mystikern wandte sie den Blick den ausladenden, knorrigen Ästen zu. Sie waren wie Skelettgliedmaßen, diese Zweige, so ganz ohne Laub.
    Was willst du? , fragte sie. Der Baum verriet nichts.
    Warum hast du uns gerufen?
    Ein Lachen war zu hören. Iphigenia drehte sich zu einer Gruppe jüngerer Schüler um, die gerade Pause hatten und im Schnee spielten. Sie bewarfen einander mit Schneebällen, duckten sich und wichen den weißen Geschossen aus. Die Sonne, die durch Lücken in den Wolken blitzte, hatte ihren höchsten Punkt erreicht. Die Älteste Mystikerin wandte sich den anderen zehn zu und sagte: »Fangen wir an.«

    Auf das Startkommando hin stürmten die Nachwuchsräuber, etwas zaghaft gefolgt von Prue McKeel, die Wendeltreppe des Westturms hinunter. In dem Gedränge wurde Prue beinahe seitlich von den Stufen geschubst, wurde aber gerade noch festgehalten. Sie drehte den Kopf und sah Curtis, der sie anlächelte. »Das wird schon«, sagte er. »Nur der Start war ein bisschen holprig.« Sobald sie wieder gerade stand, ließ er sie los und sprang mit Riesenschritten die Treppe hinunter. Prue holte tief Luft und rannte hinterher.
    Die Läufergruppe war auf einer Plattform angekommen, wo die außen Stehenden die Umgebung nach einer Markierung absuchten. Prue drängte sich in die Menge und hielt ebenfalls Ausschau. Jemand brüllte: »Da! Auf der anderen Seite!« Und tatsächlich flatterte auf der anderen Seite der Schlucht eine rote Fahne im Wind, die an einem Holzpfosten befestigt war. Ein Teil der Gruppe löste sich vom Rest und sprintete auf eine Seilrutsche am einen Ende der Plattform zu. Andere entschieden sich für eine Brücke in der entgegengesetzten Richtung. Zu ihnen gehörte auch Curtis, und da Prue nicht den Anschein erwecken wollte, ihren Freund nachzuäffen, schloss sie sich der ersten Gruppe an. Es wurde unerlaubterweise etwas geschubst, wodurch es Prue gelang, sich an die Spitze vorzukämpfen. Doch als sie gerade die Hand nach dem Haltegriff ausstreckte, wurde sie von hinten gestoßen.
    »Aus dem Weg, Außenweltlerin«, ertönte eine Stimme. Es war das Mädchen Aisling. Ehe Prue sich wieder gefangen hatte, hing Aisling schon an der Seilrutsche und

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