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Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy , Carson Ellis
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würde – und dann? Sie malte sich aus, auf immer und ewig dort festzuklemmen. Daher war sie ziemlich erleichtert, als sie die Treppe erreicht hatte. Sofort raste sie die in den Stein gehauenen Stufen hinauf und stellte fest, dass sie die Erste an der vierte Markierung war. Der Rest der Läufer kletterte noch einer nach dem anderen eine unfassbar hohe Leiter hinauf, um zur selben Stelle zu gelangen. Sie waren noch so weit weg, dass Prue einen Moment Pause machen konnte, um zu Atem zu kommen und die Aussicht zu betrachten.
    Von dieser Höhe aus sah man die Lange Schlucht, wie sie wirklich war: nicht nur ein gerader, offener Riss in der Erde, sondern eine Art wasserloser, bodenloser Fluss samt Haupt- und Nebenarmen und kleinen Nischen, aus denen der Rauch von Lagerfeuern wehte. Prue stand auf einer Felsnadel, und nicht mehr weit über ihr stieß die Wand der Schlucht auf die bemooste Oberfläche des Waldbodens. Der Steinweg, über den sie gekommen war, führte auf der anderen Seite im Zickzack an diesem natürlichen Turm hinunter, und jetzt fiel ihr auf, dass diese Treppe nicht von den Räubern stammen konnte. Die dazu nötige Handwerkskunst und Arbeit hätte viele Jahre erfordert. Und während an den hölzernen Bauten der Räuber immer noch grünes Laub wuchs, war der Stein der Treppe von hellgrünem Moos überzogen und an manchen Stellen stark ausgetreten. Sie sah aus, als gäbe es sie seit Jahrhunderten. Die Dunkelheit, in welche die Stufen sich hinabschlängelten, übte eine seltsame Faszination auf Prue aus, und beinahe hätte sie das Rennen aufgegeben, um ihnen zu folgen.
    Doch stattdessen wartete sie nur, bis die ersten Kinder auf der obersten Leitersprosse auftauchten, um ihnen zu zeigen, dass sie einen Vorsprung hatte, und setzte ihren Weg über einen schmalen Felsstreifen fort, der zurück in die Tiefe der Schlucht führte. Kurz hinter einem schmalen Spalt im Stein winkte bereits die fünfte Fahne. Prue konnte es kaum fassen, aber es hatte den Anschein, als würde sie tatsächlich das Rennen gewinnen.

    »Älteste Mystikerin!«
    »Iphigenia!«
    Die Stimmen klangen aufgeregt, verzweifelt. Die alte Frau beschloss, in Erfahrung zu bringen, worüber sie so besorgt waren. Sie schlug die Augen auf und stellte fest, dass sie flach auf dem Rücken lag, was ungewöhnlich war. Eine Gruppe von Mystikern, genau gesagt zehn, beugte sich über sie.
    »Du warst bewusstlos!«
    »Das habe ich noch nie bei dir erlebt.«
    Iphigenias Rücken fühlte sich kalt an, da er auf den verschneiten Boden gedrückt war. Allerdings schmolz der Schnee rasch und verwandelte sich in Wasser, sodass ihr Rücken nun kalt und nass war. Bittend streckte sie die Hände nach oben, und die anderen Mystiker halfen ihr auf die Beine.
    »Was ist geschehen?«, fragte einer, ein Reh namens Mabyn.
    Iphigenia presste sich die Finger an die Schläfen, sie hatte schreckliche Kopfschmerzen. Wegen des Aufruhrs hatte die Gruppe von Schülern auf der Wiese ihr Spiel unterbrochen; sie standen nun in der Nähe und beobachteten die Mystiker. In Iphigenias Herzen machte sich eine plötzliche Sorge breit.
    »Ich sah«, sagte sie, »ich sah, was getan werden muss.«
    Die versammelten Mystiker blickten einander ratlos an.
    Iphigenia seufzte schwer. »Auch wenn ich befürchte, dass es eine fast unmögliche Aufgabe ist. Eine, für die wir nicht gut ausgerüstet sind.« Sie wischte sich Erde und Schnee von dem Sackleinengewand und betrachtete den Ratsbaum. Von dort aus wanderte ihr Blick zu den Bäumen am Rande der Lichtung, zwischen denen Dunkelheit herrschte. »Und eine, die ich möglicherweise nicht überleben werde.«
    »Was können wir tun?«, fragte ein schlanker grau-weißer Kojote.
    Mit einer neuen Entschlossenheit wandte Iphigenia sich an die anderen Mystiker. »Die Kinder, wie müssen sie in Sicherheit bringen. Mabyn, Dawn, Anatolia, Damianos: Sammelt die Schüler. Sie dürfen nicht gesehen werden. Nikanor, Hydrangea und Erastus: Haltet die Bürger von der Lichtung fern. Egal, was passiert, sie dürfen sie nicht betreten.« Die Mystiker taten, wie angewiesen, und Iphigenia wandte sich an die restlichen drei.
    »Bion«, sagte sie zu dem grauen Koyoten.
    »Eutropia«, sagte sie zu der Frau mit der karamellfarbenen Haut.
    »Timon«, sagte sie zu der geschmeidigen Antilope. »Gemeinsam müssen wir uns den Attentätern entgegenstellen.«

    Es war eine optische Täuschung gewesen. Zwar konnte Prue die fünfte Fahne tatsächlich mit ihren scharfen Augen dort flattern

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