Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
öffnen, holte ein vergilbtes, mehrfach gefaltetes Blatt Papier hervor und klappte es langsam auf seinem Schoß aus. Als er es glatt gestrichen hatte, legte er es vorsichtig auf Joffreys Schreibtisch. »Sehen Sie sich die Konstruktionsskizze an«, sagte er. »Wie schnell können Sie das herstellen?«
Joffrey schüttelte sich aus seiner Schockstarre heraus und blinzelte ein paar Mal schnell hintereinander, dann inspizierte er das Blatt. Er erkannte Umrisse und kniff die Augen zusammen, um sich einen Reim darauf zu machen. Als es ihm schließlich gelang, fiel ihm vor Schreck fast die Kinnlade herunter.
Man muss wissen, dass Joffrey Unthank sich mit Konstruktionszeichnungen von Maschinenteilen auskannte. Es lag ihm im Blut. Sein Urgroßvater Linus Mortimer Unthank hatte Maschinenteile Unthank 1914 , genau zu Beginn des Ersten Weltkriegs, gegründet. Ein Portrait des alten Herrn hing in der Haupthalle des Gebäudes. Joffrey war ihm nur einmal begegnet, wobei man sagen könnte, dass es nur eine halbe Begegnung gewesen war. Es war am Totenbett seines Urgroßvaters gewesen, und Unthank, gerade einmal fünf Jahre alt, war zu dem sterbenden Patriarchen geführt worden, um ihn zu begrüßen und sich von ihm zu verabschieden. Joffrey konnte sich noch lebhaft an den Wortwechsel erinnern. Die Luft im Raum war drückend und stickig gewesen, die aschfahle Haut seines Urgroßvaters hatte sich kaum noch von dem gestärkten weißen Laken abgehoben. »Mr. Unthank«, sagte sein Vater, der seinen Großvater immer so ansprach, »ich möchte Ihnen Ihren Urenkel Joffrey vorstellen.« Der alte Mann verdrehte ein wenig den Kopf, was ihm offensichtlich schwerfiel, und musterte Joffrey aus den Augenwinkeln. Er verzog den Mund, um etwas zu sagen. »Nicht«, begann er. »Lass sie nicht sterben.« Und dann, wie es der Zufall wollte, starb er. Niemand war sich jemals völlig sicher, was er mit sie gemeint hatte (seine geliebte Topf-Gardenie musste gerade dringend gegossen werden), aber Joffrey hatte im tiefsten Herzen immer das Gefühl gehabt, dass er von der Fabrik gesprochen hatte. Lass die Maschinenfabrik, Maschinenteile Unthank, nicht sterben. Und deshalb stürzte der Urenkel sich, sobald er dazu in der Lage war, mit der Begeisterung eines echten Unternehmers auf das Geschäft. Er kürzte Budgets, sortierte zahlungsschwache Kunden aus, entließ untüchtige Angestellte und stellte tüchtigere ein. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, band er das nahegelegene Waisenhaus in sein Geschäft mit ein und begann, die Kinder als billige (sprich: kostenlose) Arbeitskräfte zu nutzen. Er verbrachte seine gesamte Freizeit damit, die Geschichte der Branche wie ein Archäologe zu studieren und vertiefte sich in detaillierte Konstruktionszeichnungen, bis ihm vor Anstrengung die Augen tränten. Mit jeder neuen Maschine, die in der Fabrik aufgestellt wurde, beschäftigte er sich eingehend und ergründete akribisch ihr Innenleben. Sein ganzes Leben drehte sich um die Fabrik. Selbst als er ins Quintett gewählt wurde, die Vereinigung der mächtigsten Industrietitanen, verließ er die Ernennungsfeier frühzeitig, weil er erst kürzlich eine vielfältige Sammlung von Konstruktionszeichnungen aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert erworben hatte und es kaum erwarten konnte, sie in seinem Büro zu studieren. Es gab kein einziges Datenblatt, keinen Entwurf oder Schaltplan, mit dem er nicht gründlich vertraut war.
Bis jetzt.
»Was ist das?«, fragte Unthank atemlos.
»Ein Möbius-Zahnrad. Haben Sie noch nie eines gesehen?«
»Nein«, musste Unthank zugeben.
Roger runzelte die Stirn.
»Was …?« Unthank geriet ins Stottern, vollkommen gefesselt von dem, was er sah. »Wie soll …?« Seine Finger strichen über das glatte Papier. Mit blaugrauer Tinte war darauf die genauste und gewissenhafteste Darstellung eines Maschinenteils gezeichnet, die Unthank je gesehen hatte. Jede einzelne Linie war penibel vermessen und beschriftet, jeder Winkel mit erläuternden Diagrammen versehen. Man sollte meinen, dass Unthank als Mann, der nahezu jede Konstruktionszeichnung, die je aus der Feder eines Zeichners geflossen war, studiert hatte, den Aufbau des Zahnrades hätte begreifen müssen, aber nein: Er stellte ihn vor ein Rätsel.
Eigentlich handelte es sich um eine Art Getriebe, in dem sich drei Zahnräder um einen kugelförmigen Kern drehten. Die drei Ringe waren gezahnt wie Zylinderräder, aber auf eine Art und Weise in sich verdreht, die jeglicher Logik
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