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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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beifällig, während sie sich um den Sprecher versammelten.

    »Einst blühte in diesem stillen Hain eine große Zivilisation«, sagte Brendan mit klangvoller Stimme. »Eine Stadt von gewaltigen Ausmaßen schmückte diesen Boden, voller Leben und Gedanken. Heute gibt es sie nicht mehr. Doch ihre Ruinen dienen jenen von uns, die überlebt haben, was sie einst verwüstete, als Mahnung – als Mahnung daran, dass niemand vor den Machenschaften derer sicher ist, die die Fortschritte von Bruderschaft und Anstand um jeden Preis zerstören wollen.«
    Er machte eine Pause und musterte die Menge.
    »Brüder und Schwestern«, fuhr er fort, »Menschen und Tiere. Heute vergessen wir, welchen Groll wir auch immer gegeneinander hegen mögen, um ein größeres Übel zu bekämpfen – ein Übel, das uns alle zu vernichten droht. Heute sind wir nicht die Räuber von Wildwald, nicht die anspruchslosen Bauern von Nordwald. Heute marschieren wir zusammen, als Brüder und Schwestern. Lasst uns am heutigen Tag gemeinsam die Wildwald-Freischärler sein, sechshundert an der Zahl. Und möge der mächtige Wald das Herz eines jeden, der es wagt, sich uns in den Weg zu stellen, mit Furcht erfüllen.«
    Die Menge brach in Jubel aus.
    Prue lief zurück zu Curtis, der zusammen mit dem Rest der Soldaten auf Befehle wartete.
    »Was ist los?«, fragte er. »Warum durftest du mit zur Besprechung?«

    »Ich soll als Kurier Nachrichten zwischen den Einheiten überbringen.«
    »Aha«, sagte Curtis wissend. »Nachrichtenübermittlung.«
    Brendan, der von dem Säulenstück gesprungen war, unterteilte nun die versammelte Truppe in drei Einheiten; Curtis kam in Sterlings Einheit. Während die Soldaten ihre Marschbefehle erhielten, ging Curtis noch einmal zu Prue. »Das war’s dann also vielleicht«, sagte er bekümmert und streckte ihr die Hand hin.
    Prue schüttelte sie. »Ja.«
    Die Menge um sie herum nahm unter den Anweisungen ihrer Hauptmänner allmählich Gestalt an: Was ein einziger, dicht gedrängter Haufen gewesen war, teilte sich nun in drei straffe Blöcke dienstfertiger Soldaten auf, die ihr buntes Sammelsurium an Waffen bereit hielten. Die beiden äußeren Gruppen lösten sich von der mittleren und marschierten auf die beiden Seiten des vor ihnen liegenden Hains zu. Rasch wandte Curtis sich noch einmal zu Prue um, bevor er sich seinen Leuten anschloss.
    »Falls wir uns nicht wiedersehen«, sagte er, »könntest du meinen Eltern bitte von mir ausrichten, dass ich das hier aus einem guten Grund getan habe; dass ich am Ende wirklich, wirklich glücklich war? Ich meine, ich hab einen Platz gefunden, an den ich gehöre. Sagst du ihnen das?«
    Prue spürte Tränen in den Augen. »Ach Curtis, das kannst du ihnen doch selbst sagen.«

    »Es war schön, dich zu kennen, Prue McKeel. Ganz im Ernst.« Auch seine Augen wurden feucht, und er fuhr sich mit dem Uniformärmel über die Nase.
    Prue beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. Dass er seine Gefühle zeigte, machte es für sie irgendwie einfacher, ihre eigene Angst zu vergessen. »Dich auch, Curtis«, sagte sie.
    Er schniefte. »Mach’s gut, Prue.« Und damit rannte er seinem Trupp hinterher.
    Prue blickte der Soldatenkolonne nach, bis sie im Dickicht des Waldes verschwunden war. Dann drehte sie sich um und entdeckte Iphigenia, die den Kopf aus einem der Wohnwagen steckte und sie zu sich winkte.
    »Bleib bei mir, Liebes«, sagte sie, »bis du gebraucht wirst.«
    Prue setzte sich neben die Älteste Mystikerin auf die Fahrerbank. Sie versuchte ein gequältes Lächeln, doch plötzlich konnte sie nicht mehr an sich halten und brach in Schluchzen aus. Warme Tränen strömten ihr über die Wangen; sie schmeckte das Salz auf ihren Lippen. Überrascht streichelte Iphigenia ihr den Rücken.
    »Aber, aber«, sagte sie tröstend. »Warum weinst du denn?«
    »Ich weiß auch nicht«, nuschelte Prue zwischen den Schluchzern. »Das ist alles zu viel für mich. Nur um meinen Bruder zurückzuholen. Ich meine, dass ich hier bin. Ich habe das Gefühl, dass ich allen, die ich hier treffe, das Leben ruiniere.«
    »Du brauchst dir nicht alles auf die Schultern zu laden. Hier passiert
Größeres, mein liebes Kind«, erklärte Iphigenia, »viel Größeres. Das Verschwinden deines Bruders war nur der Auslöser für eine lange Reihe von Ereignissen, die nur darauf warteten, in Gang gesetzt zu werden – schon seit der erste Keimling in diesem Wald spross. Du hattest über deine eigene Beteiligung an diesen Vorgängen so

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