Wilhelm II.
mehr von altpreußischer Sparsamkeit erkennen ließen. Ein Besucher in der deutschen Hauptstadt hätte keine Schwierigkeit gehabt, den Sitz der Macht zu identifizieren: Zwischen 1888 und 1910 erhöhte sich die vom Parlament bewilligte preußische Zivilliste von 7,7 Millionen auf 19,2 Millionen Mark im Jahr; zusätzlich erhielt Wilhelm II. in seiner Eigenschaft als Deutscher Kaiser einen Allerhöchsten Dispositionsfonds von jährlich 3 Millionen Mark. Mit über 60 Schlössern und einem riesigen Privatvermögen zählte er zu den reichsten Männern in Preußen-Deutschland. Verglichen damit lebte Caprivi, unverheiratet und mittellos – von den Ostelbiern als «Kanzler ohne Ar und Halm» verspottet – in geradezu karg anmutenden Verhältnissen im alten Reichskanzlerpalais Wilhelmstraße 77. Als Sekretariat stand ihm die winzige Reichskanzlei zur Verfügung. Das Jahresgehalt des Kanzlers war auf spärliche 54.000 Mark festgelegt. 1895 nahm Caprivis Nachfolger, Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, als Zuschuß zu seinem offiziellen Gehalt klammheimlich 120.000 Mark jährlich aus der Kronenkasse des Monarchen an, was seine Bereitschaft, diesem zu widersprechen, nicht gerade erhöhen sollte. Erst in der Kanzlerschaft des Fürsten von Bülow (1900–1909) wurden die Räumlichkeiten im Reichskanzlerpalais standesgemäß renoviert und das Gehalt des obersten Staatsmanns im Reich entsprechend angepaßt. Aber bis dahin hatte sich die kaiserliche Dominanz über den Staatsapparat längst durchgesetzt.
Ein Wesensmerkmal der Militärmonarchie Preußen war die starke Armeepräsenz am Hof, die mit der Thronbesteigung Wilhelms II. zum «Hauptquartier Seiner Majestät des Kaisers undKönigs» unter der Leitung eines Diensttuenden General-Adjutanten zusammengefaßt wurde. Im Umfeld der Hofmilitärs konnte Wilhelm seiner militärischen Überlegenheit über jeglichen Zivilisten frönen. Zwei forsche Flügeladjutanten hatten stets Dienst beim Monarchen, wodurch sich ein «geradezu religiöses Verhältnis» zwischen den hochgewachsenen Offizieren und dem jungen Kaiser entwickelte. Durch sein Militärkabinett und das 1889 von ihm selbst eingeführte Marinekabinett bestimmte Wilhelm die Personalpolitik von Armee und Marine und besaß somit einen unvergleichlichen Einfluß auf sämtliche der in den beiden Offizierskorps vertretenen Familien. Für den Verkehr mit den staatlichen Instanzen in Preußen und im Reich stand dem Monarchen das Geheime Zivilkabinett zur Verfügung. Alle drei Kabinettschefs gewannen dank ihres ständigen Zugangs zum Monarchen einen Einfluß auf die Gestaltung der Politik, der den der Staatsminister und Staatssekretäre weit übertraf.
In dem latenten Machtkampf zwischen Kaiser und Kanzler, der in den 1890er Jahren ausgefochten wurde, ist zudem der eklatante Unterschied in den Persönlichkeiten der Protagonisten nicht zu übersehen. Caprivi hatte sein dornenvolles Amt als Nachfolger Bismarcks höchst widerstrebend angenommen. Nur selten war er bereit, unter Androhung seines Rücktritts seinen Willen gegen Wilhelm II. durchzusetzen. Mit ganz wenigen Ausnahmen (dazu zählte der preußische Kriegsminister) waren die acht preußischen Staatsminister und die sieben Staatssekretäre der Reichsämter unpolitische Verwaltungsnaturen, die schon unter Bismarck gewohnt waren, sich unterzuordnen. Auch von ihnen war kein ernstzunehmender Widerstand gegen eine Machterweiterung des Kaisers zu erwarten. Nur wenn sie alle gegen den Monarchen zusammengehalten hätten, hätten sie ihn eventuell zur Rücknahme einer als bedenklich eingeschätzten Maßnahme zwingen können – doch auch dies nicht auf Dauer, denn als Kaiser und König konnte Wilhelm die widerspenstigen Minister nach und nach entlassen und durch fügsamere Charaktere ersetzen, was er auch tat.
Wie anders als die im Grunde subalterne Haltung der sogenannten«verantwortlichen Regierung» war dagegen seine eigene selbstbewußte, energiegeladene, ja fast manisch anmutende Persönlichkeit! In der Behauptung und Erweiterung seiner Prärogative zeigte Kaiser Wilhelm II. einen eisernen Willen zur Macht. Sein Anspruch auf Selbstherrschaft ist sprichwörtlich. Schon vor der Thronbesteigung hatte er gedroht: «Wehe, wenn ich zu befehlen haben werde!» Er allein sei Herr im Reich, er dulde keinen anderen, verkündete er 1891 in einer Rede in Düsseldorf. Der Wille des Königs sei das höchste Gesetz, schrieb er in das Goldene Buch der Stadt München. «Mein Kurs ist
Weitere Kostenlose Bücher