Wilhelm II.
Schlachtflottenfanatiker mit der «Bismarck-Natur», Admiral Alfred Tirpitz, der in jenem Sommer Staatssekretär des Reichs-Marine-Amtes wurde und diesen Posten bis 1916 behalten sollte.
Der Aufstieg Bülows 1893 zum Botschafter in Rom, 1897 zum Außenstaatssekretär und 1900 zum Reichskanzler und Ministerpräsidenten Preußens war das Werk des Günstlings Philipp Eulenburg, dessen Einfluß auf Wilhelm II. in diesen Jahren kaum überschätzt werden kann. Von der kleinen Gruppe der heimlichen Berater um den Kaiser in seinem Konflikt mit Bismarck war er als eindeutiger Sieger hervorgegangen. Der Großherzog von Baden zog sich aus der Reichspolitik zurück und begnügte sich mit gelegentlichen Mahnrufen aus Karlsruhe; Waldersee wurde 1891 als Chef des Generalstabes durch Graf Schlieffen abgelöst, weil er couragiert die Manöverführung des Obersten Kriegsherrn kritisiert hatte, und Marschall von Bieberstein rieb sich in parlamentarischen Kämpfen und Hofintrigen auf. Anfangs arbeitete Eulenburg eng mit dem eigenbrötlerischen Geheimrat von Holstein zusammen, um den bedrängten Caprivi über Wasser zu halten. Doch seit 1894 ging der Kaiserfreund seine eigenen Wege. Eulenburg und Holstein entzweiten sich vor allem in ihrer Einschätzung der Rolle, die Wilhelm II. bei der Gestaltung der deutschen Politik zustehen sollte. Eindringlich warnte der Geheimrat vor den Folgen eines persönlichenRegiments; in mystischer Schwärmerei arbeitete Eulenburg dahingegen just daran, die Eigenherrschaft Wilhelms gegen erhebliche Widerstände im Staatsapparat, im Parlament und im ganzen Volke durchzusetzen.
Zunächst aber baute Eulenburg seine eigene Stellung aus. Dank der Gunst Wilhelms II. avancierte er rasch zum preußischen Gesandten erst in Oldenburg, dann in Stuttgart und 1891 in München. 1894 ernannte ihn Wilhelm zum Botschafter in Wien. Schritt für Schritt brachte Eulenburg seine Verwandten und Freunde in Stellung um den Kaiser: sein Vetter August Graf zu Eulenburg wurde 1888 Ober-Hof- und Hausmarschall, dessen Bruder Botho ernannte Wilhelm (wie erwähnt) 1892 zum preußischen Ministerpräsidenten und Innenminister, 1893 setzte Eulenburg die Ernennung seiner beiden Intimfreunde Kuno Graf von Moltke zum Flügeladjutanten beziehungsweise Axel Freiherr von Varnbüler zum württembergischen Gesandten in Berlin durch. Den Kaiser beglückwünschte er zur Wahl Moltkes mit den Worten: «Welche Perle Ew. Majestät sich durch diesen Adjutanten gewonnen haben, das werden Ew. Majestät mehr und mehr empfinden lernen – und mich erfüllt ein wohltuendes, behagliches Gefühl gerade ihn bei meinem heißgeliebten Kaiser zu wissen.» Ihren «heißgeliebten Kaiser» nannten Eulenburg, Moltke und Varnbüler unter sich «das Liebchen». Das war der Umgangston in der «Liebenberger Tafelrunde» um «Phili» Eulenburg – von seinen Freunden auch «die Philine» genannt.
Talentiertestes Mitglied dieses Intimkreises um den Kaisergünstling war Bernhard von Bülow. Zwar hatte dieser zynische Karrierist – wie Eulenburg, Moltke und Varnbüler war Bülow homosexuell veranlagt – ursprünglich auf ein anderes Pferd gesetzt, als er eine «faisandierte» Ehe (so Herbert Bismarck) mit der geschiedenen Gräfin Marie von Dönhoff, einer Freundin der damaligen Kronprinzessin Victoria, einging. Doch nach dem Tod Kaiser Friedrichs III. wandte sich Bülow der aufgehenden Sonne zu und bot sich dem einflußreichsten Freund Wilhelms II. als Reichskanzler der Zukunft an. In unzweideutigen Wendungen setzte er Eulenburg 1893 auseinander, daß dieser doch zu verwundbar sei, um selber den höchsten Posten im Reiche zuübernehmen, er aber, der Gleichgesinnte und weniger Belastete, könne und wolle dem geliebten Kaiser diesen Dienst erweisen. «Als schwesterliche entstiegen einst unsere Seelen dem rätselhaften Born alles Daseins; nur andere Hüllen und verschiedenfarbige Flügel wurden uns gegeben», schrieb Bülow, als Eulenburg ihm liebevoll das «Du» anbot. Im Vertrauen auf den falschen Freund arbeitete Eulenburg fortan hinter den Kulissen an seinem Meisterplan, Bülow so krisenfrei wie möglich in das höchste Amt zu führen. Bülows Aufstieg zum Reichskanzler im Oktober 1900 war denn auch die einzige auf lange Sicht planmäßig durchgeführte Kanzlerernennung in der 30jährigen Regierungszeit Wilhelms II.
Natürlich wußte Bülow genau, unter welchen Bedingungen der Kaiser und sein Intimus ihn auserkoren hatten. In einem Brief vom 23. Juli 1896 empfahl
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