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Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Entlassungsgesuch annehmen und den General Georg Leo von Caprivi zum Kanzler ernennen.
    Die intrigenhafte und affektgesteuerte Entlassung des Reichsgründers im März 1890 gehört zu den folgenschwersten Entscheidungen, die Wilhelm II. in seiner langen Regierung treffen sollte. In den Hauptstädten Europas löste sie Alarm aus. Auch in Deutschland waren die Folgen noch schlimmer, als Holstein zu Beginn der Krise vorausgesagt hatte. In ihrer monarchischen Verblendung hatten die geheimen Ratgeber des Kaisers den massiven Rückhalt unterschätzt, den Bismarck nach 28 Jahren an der Macht sowohl bei den politischen Eliten als auch im nationalen Bürgertum genoß. Die Spaltung der «staatserhaltenden» Schichten in zwei sich bitter bekämpfende Lager – hie Kaiser, hie Bismarck – stellte eine schwere Hypothek dar, die die ersten Regierungsjahre Wilhelms II. überschattete. Weshalb er trotzdem den Reichsgründer «wie ein[en] Butler» fortschickte und das Risiko einer Bismarck-Fronde in Kauf nahm, das machte Wilhelm II. acht Jahre später klar, als Bismarck gestorben war: «Für immer & ewig», triumphierte er in einem Brief an seine Mutter, «gibt es nur einen wirklichen Kaiser in der Welt & das ist der Deutsche, ohne Ansehen seiner Person & seiner Eigenschaften, einzig durch das Recht einer tausendjährigen Tradition, und sein Kanzler muß gehorchen!»
Der Aufbau der Persönlichen Monarchie (1890–1897)
    Wieso Wilhelm II. gerade auf Caprivi als Bismarcks Nachfolger in den drei höchsten Ämtern – Reichskanzler, preußischer Ministerpräsident und preußischer Minister für auswärtige Angelegenheiten – gekommen ist, bleibt ein Rätsel. Selbst sein Bruder, Prinz Heinrich, hielt die Nachricht für eine Falschmeldung undmeinte, Waldersee wäre doch zum Kanzler bestimmt, Caprivi dagegen zum Chef des Generalstabes. Die Wahl des überaus anständigen, schlichten, unpolitischen Generals erweckte den Eindruck, als wolle der Kaiser sein eigener Reichskanzler sein. Weder am Hof noch im konservativen Landadel besaß Caprivi einen natürlichen Rückhalt, und im neugewählten Reichstag fehlte es ihm erst recht an Unterstützung. Außenpolitisch war er zudem vollkommen unerfahren – ein deutscher Diplomat sprach von seiner geradezu stupiden Unkenntnis der Zusammenhänge. Caprivis eingestandene Inkompetenz in der Außenpolitik fiel um so schwerer ins Gewicht, als der Kaiser nach dem gescheiterten Versuch, Herbert Bismarck zum Verbleib zu bewegen, die Leitung des Auswärtigen Amtes einem Mann anvertraute, dem ebenfalls jede diplomatische Erfahrung fehlte, nämlich dem Holstein-Protégé Adolf Freiherrn Marschall von Bieberstein. Der Verlust an diplomatischer Versiertheit, der mit der Ersetzung der beiden Bismarcks durch Caprivi und Marschall einherging, kann kaum gravierender gedacht werden.
    Wie das Schicksal es wollte, fiel gerade im Wirrwarr des Übergangs die Entscheidung, ob der 1887 von Bismarck auf drei Jahre abgeschlossene geheime Rückversicherungsvertrag mit Rußland verlängert werden sollte. Trotz seiner von Waldersee geschürten Feindschaft gegen Rußland wollte Wilhelm II. den Vertrag zunächst erneuern, entschied sich dann aber im Handumdrehen dagegen. Er beugte sich dabei dem ultimativen Widerspruch Caprivis, dem Holstein die Gefahr der Bekanntgabe des Geheimvertrags – etwa durch den grollenden Bismarck – für den Bestand des Bündnisses mit Österreich-Ungarn auseinandergesetzt hatte. In einer Art Panikstimmung wurde somit ein Entschluß von enormer Tragweite gefaßt – ein Entschluß, der allzubald zur Folge haben sollte, daß sich das zaristische Rußland mit der französischen Republik verbündete und damit für Deutschland das Schreckgespenst eines Zweifrontenkrieges heraufbeschwor.
    Doch der Übergang von den beiden Bismarcks auf Caprivi und Marschall stellte weit mehr als einen Personalwechsel dar. Mit dem Sturz des Fürsten verlagerte sich das Zentrum derMacht vom Kanzler zum Kaiser, von den grünen Tischen der Wilhelmstraße ins Schloß, vom Staat zum Hof. Der Dualismus der Entscheidungsgewalt, bei dem die Möglichkeiten, die dem Monarchen zur Verfügung standen, unvergleichlich größer waren als die des neuen Reichskanzlers, wurde dadurch krisenanfälliger. Als Kaiser, König und Oberster Kriegsherr war Wilhelm II. der schillernde Mittelpunkt eines riesigen prunkvollen Hofes und einer tonangebenden, hauptsächlich adeligen und hierarchisch gegliederten Hofgesellschaft, die beide bald nichts

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