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Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Erwerb von zwei Samoainseln im Südpazifik als glorreichen Erfolg für Marine und Volk mit und versicherte ihm schwülstig, der Gewinn werde «beide aneifern, Euerer Majestät weiter zu folgen auf der Bahn, die zu Weltmacht, Größe und ewigem Ruhm führt». Vor allem die große Landbrücke vom östlichen Mittelmeer über Mesopotamien, Persien und Indien nach China lockte als Fernziel: Mesopotamien (der heutige Irak) habe ihm «schon seit Jahren» als Kolonialgebiet vorgeschwebt, erklärte Wilhelm um die Jahrhundertwende, als er mit Eifer den Bau der Bagdadbahn – «Meine Bahn!» – betrieb. In Afrika schwebte ihm als künftiges Ziel der Zusammenschluß der deutschen Kolonien zu einem mittelafrikanischen Block durch den Erwerb Belgisch-Kongos immer mit. Die Karibik mit den holländischen und dänischenInseln und dahinter ganz Lateinamerika bot der kaiserlichen Marine, deutschen Aussiedlern und Wirtschaftsunternehmern reichlich Gelegenheit zur Expansion. Als US-Präsident Theodore Roosevelt dem Kaiser 1903 nahelegte, er solle sich doch im europäischen Osten statt in der westlichen Hemisphäre ausdehnen, reagierte Wilhelm II. burschikos: «Prosit! dort sitzen die Russen. Nein, Südamerika ist unser Ziel, alter Junge!» Allmählich erkannte auch Washington die latente Gefahr, die von der zügellosen wilhelminischen Weltpolitik drohte, und baute seine Atlantikflotte auf. Das hinderte den Kaiser freilich nicht daran, den Amerikanern hin und wieder (vor allem 1908 in dem Interview mit dem Publizisten Hale) die Aufteilung des Britischen Empires zwischen den USA und Deutschland vorzuschlagen!
    In Berlin arbeitete der Admiralstab um die Jahrhundertwende unter reger Anteilnahme des Obersten Kriegsherrn fantastische Operationspläne für einen eventuellen Krieg gegen die aufsteigende Republik von Nordamerika aus. Demnach sollten deutsche Kriegsschiffe durch einen Überfall auf Puerto Rico die US-Navy zu einer Schlacht in der Karibik provozieren, auf die die Beschießung von New York von Long Island aus erfolgen würde. Zur gleichen Zeit sollte eine größere Armee an der Küste New Englands landen und auf Baltimore und Washington marschieren. Diese absurden Pläne wurden erst storniert, als Schlieffen 1903 klarstellte, daß, um hunderttausend Mann über den Nordatlantik schiffen zu können, Deutschland erst sicher vor einem Angriff in Europa sein müßte. Nichts zeigt das strategische Dilemma der deutschen Weltpolitik deutlicher als dieses vernichtende Urteil Schlieffens: Um zu einer globalen Weltmacht auf Augenhöhe mit dem Britischen Empire, dem russischen Riesenreich und der französischen Kolonialmacht aufzusteigen, müsse sich das Deutsche Kaiserreich aus der «Greifzange» des russisch-französischen Bündnisses befreien und die Macht Großbritanniens als Garant des Gleichgewichts auf dem europäischen Kontinent neutralisieren. Aber wie?
    Seit der Jahrhundertwende verfolgten Kaiser Wilhelm und seine Paladine zwei großangelegte Strategien – die eine gegendie Flügelmacht Großbritannien im Westen, die andere gegen die Flügelmacht Rußland im Osten gerichtet – mit dem Ziel, den gordischen Knoten zu durchhauen. Der Tirpitz-Plan, eingeleitet 1897 mit der Ernennung des Admirals zum Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts, sah den Bau von 60 Linienschiffen bis 1920 vor, die alle stets kampfbereit unter einem Kommando in der Nord- und Ostsee stationiert werden sollten. Dieser Schlachtflottenbau stellte eine existentielle Herausforderung Großbritanniens dar, der die ozeanische Weltmacht aber letztendlich – so kalkulierte Tirpitz – nicht würde standhalten können: Um seinen maritimen Vorsprung zu bewahren und seinen weltweiten Verpflichtungen nachkommen zu können, würde England nämlich mindestens drei Schlachtschiffe auf zwei deutsche Neubauten auf Kiel legen müssen, und dazu reichten auf Dauer weder seine wirtschaftliche Kraft noch sein Menschenpotential. Das Endziel des Tirpitz-Plans bestand darin, die globale Vorherrschaft Großbritanniens zu brechen – entweder in einer Entscheidungsschlacht gegen die Royal Navy in der Nordsee zum richtigen Zeitpunkt oder aber durch ein politisches Einlenken Londons, das die weltweite Gleichstellung des Kaiserreiches (und in erster Linie die deutsche Hegemonie über Europa) vertraglich festlegen würde. Das scheinbar so exakt durchkalkulierte Strategem des Admirals enthielt aber schwerwiegende Fehler und beruhte auf einer gewaltigen Unterschätzung sowohl der

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