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Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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würden sich mit Sicherheit gegen eine deutsche Hegemonie stemmen und sich zur Verteidigung ihrer Selbständigkeit und Existenz zusammenschließen.
    In Verkennung der Gefahr der Einkreisung griff Wilhelm II. in die Interessensphären der übrigen Großmächte auch in Übersee ein. Unter dem Motto, aus dem Deutschen Reich sei ein «Weltreich» geworden, sandte er im Januar 1896 seine berüchtigte Gratulationsdepesche an den Burenpräsidenten Krüger – den Einwand des Reichskanzlers, er riskiere mit seiner Einmischung in Südafrika den Krieg mit England, wischte der Kaiser mit der Bemerkung vom Tisch: «Ja, aber nur zu Land!» Ein Jahr darauf bestand er auf der Annexion von Kiautschou im Nordosten Chinas. «Ich bin fest entschlossen, unsere hypervorsichtige, in ganz Ostasien bereits als schwach angesehene Politik nunmehr aufzugeben und mit voller Strenge und wenn nötig mitbrutalster Rücksichtslosigkeit den Chinesen gegenüber endlich zu zeigen, daß der Deutsche Kaiser nicht mit sich spaßen läßt und es übel ist, denselben zum Feind zu haben», erklärte er dem Reichskanzler und dem Auswärtigen Amt, die ängstlich vor einer Verletzung der russischen Interessen in China gewarnt hatten. 1900 drängte er darauf, den als «Weltmarschall» verspotteten Waldersee zum Oberbefehlshaber des internationalen Expeditionskorps zur Niederschlagung des Boxeraufstandes in China zu ernennen.
    Als vorläufiger Höhepunkt seiner Weltpolitik gilt Wilhelms II. spektakuläre Reise nach Konstantinopel, Haifa, Jerusalem, Beirut und Damaskus im Herbst 1898 – damals wie heute einer der gefährlichsten Krisenherde auf Erden, wo nicht nur die Interessen der Großmächte, sondern auch die der drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam aufeinandertreffen. Sein triumphaler Einzug in Jerusalem am 29. Oktober 1898 zur Einweihung der Erlöserkirche, hoch zu Roß in die Uniform eines preußischen Feldmarschalls mit Tropenhelm gekleidet, muß nicht nur auf den stets mißtrauischen Sultan Abdulhamid II., dessen Stadt dies war, einen beunruhigenden Eindruck gemacht haben. Sein Auftritt in Jerusalem zeigt in alarmierendem Maße, wie weit sich der Kaiser von Bismarcks berühmtem Diktum entfernt hatte, der ganze Orient sei nicht den Knochen eines einzigen pommerschen Grenadiers wert. In Jerusalem empfing er Theodor Herzl und äußerte sich wohlwollend gegenüber dem Wunsch der Zionisten, er möge ein deutsches Protektorat über eine jüdische Heimstätte in Palästina ausrufen. Er telegraphierte dem Papst seine Bereitschaft, das Protektorat über die Katholiken im Heiligen Land zu übernehmen. Gleichzeitig übernahm er das Protektorat über die deutsche evangelische Weihnachtskirche in Bethlehem. Aber auch der Islam sollte in der Gunst des deutschen Souveräns nicht zu kurz kommen. In Damaskus lobte er Saladin als einen der «ritterlichsten Herrscher aller Zeiten» und verkündete: «Möge der Sultan und mögen die 300 Millionen Mohammedaner, die, auf der Erde zerstreut lebend, in ihm ihren Khalifen verehren, dessen versichert sein, daß zu aller Zeit der deutsche Kaiser ihr Freund seinwird!» Der mitgereiste Bülow erkannte sofort die fatale Wirkung, die dieser Trinkspruch in Paris, London und St. Petersburg haben mußte, herrschten doch alle drei Regierungen über Abermillionen von unruhigen muslimischen Untertanen. Er war aber machtlos, die Veröffentlichung zu verhindern: Wilhelm hatte den Text seiner Rede bereits nach Konstantinopel depeschiert.
    Der bauernschlaue Hintergedanke, der den Kaiser zu diesem theatralischen Auftritt im Orient bewegte, kam in dem eigenhändigen Brief zum Ausdruck, den er – wie immer ohne Kenntnis des Reichskanzlers – am 20. Oktober 1898 aus Konstantinopel an Zar Nikolaus II. richtete. In dem Versuch, Rußland gegen Großbritannien aufzuwiegeln, schrieb er, der Zar dürfe nie vergessen, «daß die Mohammedaner ein gewaltiger Trumpf in unserer Hand sind, im Falle Du oder ich plötzlich vor einem Kriege mit der besagten einmischungslüsternen Macht [gemeint ist England] stehen sollten.» Die Vorstellung, die islamische Welt aufwiegeln und gegen Deutschlands Feinde mobilisieren zu können, am besten unter dem Kommando eines preußischen Generals, bildete eine Lieblingsidee Wilhelms II. bis weit in den Ersten Weltkrieg hinein.
    Der «verspäteten Nation» der Deutschen standen zu diesem Zeitpunkt scheinbar weite Gebiete für ein eigenes Kolonialreich zur Verfügung. 1899 teilte Bülow dem Kaiser den

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