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Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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und seinen Begegnungen mit dem infantilen Nikolaus II. in Danzig, Tallinn (damals Reval genannt) und Wiesbaden trieb Wilhelm den Zaren an, sich von Europa abzuwenden, die Mandschurei und Korea zu annektieren und die Engländer in Indien, Afghanistan und Persien zu bedrohen. Wie schon in der bekannten Zeichnung «Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter», die Wilhelm 1895 dem Zaren zukommen ließ, bedrängte er Nikolaus, dessen von Gott gegebene Rolle sei die Verteidigung der Christenheit gegen die heidnische«Gelbe Gefahr». Er möge sich als «Admiral des Pazifik» betrachten, während er, Wilhelm, als «Admiral des Atlantik» fungieren würde. Dann würden die fünf Großmächte des europäischen Kontinents – also einschließlich Frankreich – eine Heilige Allianz gegen den demokratischen Wind bilden können, der vom Atlantik her wehte, soufflierte er dem Zaren. Ziel dieser persönlichen Diplomatie war es, «Frankreich von England abzuziehen und neben uns und Rußland zu schieben». Wie das neue Europa nach dem Zusammenschluß Deutschlands und Rußlands aussehen würde, setzte Wilhelm dem Zaren im Hochgefühl mit den Worten auseinander: «Die kleineren Völker Europas wie Holland, Belgien, Dänemark, Schweden, Norwegen [werden] alle zu diesem neuen, großen Schwergewichtszentrum hingezogen […] durch das ganz natürliche Gesetz der Anziehung kleiner Körper durch die größeren und kompakteren. Sie werden sich um die Bahn des großen Mächteblocks (Rußland, Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien) drehen. […] Die Doppelallianz in Verbindung mit dem Dreibund ergibt einen Fünfbund, der wohl in der Lage ist, alle unruhigen Nachbarn in Ordnung zu halten und den Frieden vorzuschreiben, selbst mit Gewalt.»
    Zweimal, im Dezember 1904 und dann wieder während seiner Begegnung mit Nikolaus II. auf der Insel Björkö im finnischen Meerbusen im Juli 1905, glaubte der Kaiser, den größten Coup seines Lebens gelandet zu haben, durch den er hoffte, das europäische Staatensystem aus den Angeln heben zu können. Um so bitterer war seine Enttäuschung, als sein Kartenhaus zusammenstürzte. Es entbehrt nicht der Ironie, daß der Einfluß der russischen Minister auf ihren angeblich «absoluten» Zaren größer war als derjenige des «verantwortlichen» Reichskanzlers auf den konstitutionellen Deutschen Kaiser. Auf Drängen seiner Ratgeber zog Nikolaus nämlich seine Einwilligung zum bereits unterschriebenen Vertrag von Björkö zurück, es sei denn, Frankreich würde freiwillig seine Zustimmung dazu geben, was natürlich ausgeschlossen war. Wilhelm war bitter enttäuscht: Es sei dies «der erste Mißerfolg, den ich persönlich erlebe».
    Allerdings erkannte selbst Bülow jetzt die Gefahr, die in denAlleingängen seines Souveräns in der Großen Politik lauerte. Als Protest gegen die eigenmächtig von Wilhelm vorgenommene Abänderung einer Klausel im Vertrag von Björkö reichte er am 3. August 1905 nach Rücksprache mit Holstein sein Rücktrittsgesuch ein. Sein Brief löste bei Kaiser Wilhelm II. einen Nervenzusammenbruch aus. «Meinen Seelenzustand Ihnen zu schildern, werden Sie, lieber Bülow, wohl mir erlassen. Vom besten, intimsten Freund, den ich habe […] so behandelt zu werden […] das hat mir einen solchen fürchterlichen Stoß gegeben, daß ich vollkommen zusammengebrochen bin und befürchten muß, einer schweren Nervenkrankheit anheimzufallen!» Händeringend bat er den Kanzler, sein Entlassungsgesuch zurückzunehmen, andernfalls würde er sich das Leben nehmen. «Der Morgen nach dem Eintreffen Ihres Abschiedsgesuches würde den Kaiser nicht mehr am Leben treffen! Denken Sie an meine arme Frau und Kinder!» Das war ein bewegendes, aber doch auch erschreckendes Eingeständnis der Hilflosigkeit und Abhängigkeit des nach außen hin bramarbasierenden Autokraten, Militaristen und Rassisten auf dem «mächtigsten Thron der Erde».
Krieg im Westen? Die Tanger-Landung und das Fiasko von Algeciras (1905–1906)
    Als mit dem japanischen Überfall auf Port Arthur im Februar 1904 der von Wilhelm ersehnte Russisch-Japanische Krieg begann, sah sich der Kaiser mit der Gretchenfrage konfrontiert, ob er die Gunst der Stunde nutzen sollte, um blitzartig über den «Erbfeind» Frankreich herzufallen. Die Versuchung, den Befreiungsschlag gen Westen zu wagen, solange das Zarenreich im Fernen Osten gebunden war, wurde mit den unerwarteten Niederlagen der russischen Streitkräfte zu Lande und zur See beziehungsweise

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