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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Roderich?
    Der Doktor war sofort beim ersten Verschwinden der Vermählungsverkündigung von seinem Sohn benachrichtigt worden, welcher gleich darauf zu mir ins Hotel Temesvár kam.
    Man kann sich leicht vorstellen, in welchem Zustand von Aufregung sich der Hauptmann befand.
    »Natürlich ist dieser Schurke der Täter! rief er. Wie er es angestellt hat, weiß ich allerdings nicht. Er wird es auch sicher nicht dabei bewenden lassen. Aber ich werde ihm sein unsauberes Handwerk legen!
    – Ruhe und kaltes Blut, mein lieber Haralan, sagte ich, hüten Sie sich ja vor jeder Unvorsichtigkeit, welche die gespannte Situation nur verschlimmern könnte.
    – Mein lieber Vidal, hätte mich mein Vater nur rufen lassen, ehe dieser Mensch unser Haus verlassen, oder hätte man mich wenigstens nachher nach meinem eigenen Gutdünken handeln lassen – dann wurde er uns jetzt keine Sorgen machen!
    – Dennoch bleibe ich bei meiner Ansicht, lieber Haralan, daß es besser war, daß Sie sich nicht in den Vordergrund gedrängt haben.
    – Und wenn er so fortfährt?
    – Dann haben wir immer noch Zeit, die Hilfe der Polizei zu requirieren. Sie müssen an Mutter und Schwester denken!
    – Wenn sie nur nichts von dem heutigen Vorfall erfahren!
    – Man wird es ihnen und Markus nicht sagen; nach der Hochzeit werden wir ja sehen, welche Haltung wir annehmen müssen.
    – Nach der Hochzeit?… antwortete Hauptmann Haralan, wenn es nur dann nicht zu spät ist!«
    An diesem Tage waren Frau und Fräulein Roderich, welche die geheimen Sorgen des Doktors nicht ahnten, ganz von den Vorbereitungen zu der Festlichkeit in Anspruch genommen, die am gleichen Abend in ihrem Hause stattfinden sollte; alles mußte tadellos sein. Der Doktor, welcher in der Ragzer Gesellschaft viele Freunde zählte, hatte zahlreiche Einladungen ergehen lassen. Hier, auf neutralem Grund und Boden, begegneten sich die ungarische Aristokratie mit der Armee, dem hohen Magistrat und dem übrigen Beamtenstand. Der Gouverneur von Ragz, welchen eine langjährige Freundschaft mit Dr. Roderich verband, hatte sein Kommen auch zugesagt.
    Die großen Empfangsräume genügten vollkommen, um die einhundertundfünfzig Personen aufzunehmen, welche sich am Abend hier versammeln sollten. In der Galerie wurden Erfrischungen serviert. Niemand wird erstaunt sein, daß die Toilettenfrage Myra Roderich in einem gewissen, erlaubten Maße beschäftigte und daß Markus, als Künstler, in dieser Angelegenheit gute Ratschläge erteilen wollte, wie er es bereits getan, als er seine Braut gemalt hatte.
    Übrigens – Myra war Magyarin und jeder Magyare, ob Mann oder Frau, legt großen Wert auf Kleidung. Das liegt im Blute, wie die Freude am Tanz, die sich bis zur Leidenschaft steigern kann. Nachdem mein Urteil über Myra sich auf alle Damen und Herren bezieht, versprach das Fest einen sehr glänzenden Charakter zu zeigen.
    Nachmittags waren die Vorbereitungen beendet. Ich verweilte den ganzen Tag im Hause des Doktors und wartete die Stunde ab, die ich, wie ein richtiger Magyare, den Sorgen meiner Toilette widmen mußte.
    Während ich einen Augenblick lang an einem der Fenster lehnte und auf den Batthyány-Kai hinabblickte, sah ich zu meinem größten Mißvergnügen – Wilhelm Storitz. Hatte ihn ein bloßer Zufall hergeführt? Gewiß nicht! Er ging immer den Kai entlang, langsam, mit gesenktem Kopfe; aber als er in die Nähe des Hauses Roderich kam, richtete er sich plötzlich hoch auf – und welch ein Blick! Er ging mehrmals vorüber, so daß es Frau Roderich schließlich bemerkte. Sie machte ihren Mann darauf aufmerksam, welcher sie zu beruhigen versuchte, ohne des letzten Besuches dieses Menschen Erwähnung zu tun.
    Ich füge noch hinzu, daß Markus und ich den Preußen auf dem Magyar-Platze begegneten, als wir uns in unser Hotel begaben. Kaum bemerkte er meinen Bruder, als er plötzlich stehen blieb und unschlüssig schien, ob er auf uns zukommen solle oder nicht. Aber er blieb doch unbeweglich stehen, mit totenbleichen Zügen, während die Arme ihm völlig steif herabhingen…. Er sah aus, als ob er an Ort und Stelle zusammenbrechen würde. Seine fürchterlichen Augen schossen Blitze des Hasses auf Markus, welcher ihn gar nicht zu beachten schien. Aber als wir uns einige Schritte entfernt hatten, sagte er:
    »Hast Du diesen Menschen bemerkt?
    – Ja, Markus.
    – Das ist jener Wilhelm Storitz, von dem ich Dir gesprochen habe.
    – Ich weiß.
    – Kennst Du ihn denn?
    – Hauptmann Haralan hat mich

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