Wilhelm Storitz' Geheimnis
mehrmals auf ihn aufmerksam gemacht.
– Ich war der Meinung, er hätte Ragz verlassen.
– Es scheint nicht, oder, was wahrscheinlicher ist, er wird wieder zurückgekommen sein.
– Schließlich ist das ja ganz gleichgültig.
– Freilich, ganz gleichgültig!« sagte ich.
Aber nach meiner unausgesprochenen Meinung wäre es beruhigender für mich gewesen, wenn Wilhelm Storitz Ragz noch fern geblieben wäre.
Gegen neun Uhr abends hielten die ersten Wagen vor dem Hause des Doktors und die Empfangsräume begannen sich zu füllen. Herr Roderich samt Frau und Tochter empfingen die Gäste am Eingange der im Glanze der Kronleuchter taghell erleuchteten Galerie. Jetzt wurde der Gouverneur von Ragz gemeldet; mit den herzlichsten, von treuer Freundschaft zeugenden Worten sprach er der Familie seinen Glückwunsch aus. Fräulein Myra und mein Bruder wurden durch besondere Liebenswürdigkeit ausgezeichnet. Übrigens wurde das Brautpaar von allen Seiten umringt und beglückwünscht.
Zwischen neun und zehn Uhr erschienen die Stadtautoritäten und Offiziere, die Kameraden Hauptmann Haralans, welcher, obwohl ich ihm die Sorge von der Stirne ablas, die Gäste mit gewinnender Liebenswürdigkeit begrüßte. Die prachtvollen Toiletten der Damen, die glänzenden Uniformen und die Prunkgewänder der Staatswürdenträger boten einen farbenprächtigen Anblick. Man hielt sich im Salon und in der Galerie auf, bewunderte die Geschenke, die im Arbeitszimmer des Doktors zur Besichtigung ausgestellt waren, den kostbaren Schmuck und die Luxusgegenstände, unter denen die Gaben meines Bruders durch künstlerischen Geschmack auffielen. Auf einem Pfeilertischchen im Salon lag der Heiratskontrakt, der im Laufe des Abends unterzeichnet werden sollte. Auf einem andern stand das prachtvolle Brautbukett aus Rosen und Orangenblüten und daneben ruhte – nach magyarischem Brauche – auf einem Kissen der Kranz, den Myra an ihrem Hochzeitstage bei dem Gange in die Kathedrale tragen sollte.
Das Fest zerfiel in zwei Teile: in ein Konzert und den Ball; beides wurde durch die feierliche Unterzeichnung des Ehekontraktes auseinander gehalten. Der Tanz sollte erst um Mitternacht beginnen und wahrscheinlich war der größte Teil der Eingeladenen mit dieser so spät angesetzten Stunde nicht sehr einverstanden, weil es, ich wiederhole es, für den Ungarn und die Ungarin kein Vergnügen gibt, dem sie sich mit größerer Lust und Leidenschaftlichkeit hingeben, als dem Tanze.
Der musikalische Teil des Abends war einem berühmten Zigeunerorchester zugeteilt. Dieses Orchester, dessen Ruhm sich über das ganze Ungarland verbreitet hatte, war in Ragz noch niemals gehört worden. Zur festgesetzten Stunde nahmen die Musiker und der Dirigent im Saale Platz.
Es war mir bekannt, daß die Magyaren enthusiastische Musikliebhaber sind. Aber – wie man sehr richtig bemerkt hat – es existiert ein bedeutender Unterschied in der Art und Weise, wie Deutsche und Ungarn die Musik genießen. Der letztere ist Dilettant, keine ausübende Kraft. Er singt nicht oder nur wenig, er hört lieber zu; und wenn er Vorführungen seiner vaterländischen Musik lauschen kann, dann bedeutet das Zuhören für ihn gleichzeitig eine sehr ernste Sache und ein außerordentlich lebhaft empfundenes Vergnügen.
Das Orchester bestand aus zwölf Mann und dem Primas. Auf dem Programm standen ihre allerschönsten Stücke, jene charakteristischen ungarischen Weisen, Schlachtengesänge, militärische Märsche, wie sie der Ungar als Mann der Tat der träumerischen deutschen Musik vorzieht.
Vielleicht fragt sich der Leser, warum die Melodien nicht mehr dem hochzeitlichen Charakter des Festes, das ja zu Ehren der Unterzeichnung des Ehekontraktes veranstaltet worden war, angepaßt waren. Das wäre ein Vergehen gegen die Tradition gewesen und Ungarn ist das Land der Traditionen. Es bleibt seinen Volksliedern ebenso treu, wie Serbien seinen »Pesmas« und die Walachei ihren »Doimas«. Es begeistert sich an den aufregenden Melodien, dieser rhythmischen Kriegsmusik, welche die ruhmreiche Vergangenheit heraufbeschwört und die unvergeßlichen Heldentaten der Vorfahren preist.
Die Anwesenden lauschten andächtig. (S. 91.)
Die Zigeuner trugen ihre so originellen Kostüme und ich wurde nicht müde, diese merkwürdigen, fremdartigen Typen zu betrachten, die sonnengebräunten Gesichter, die glänzenden Augen unter den buschigen Brauen, die etwas hervortretenden Backenknochen, die spitzen, weißen Zähne,
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