Wilhelm Storitz' Geheimnis
seiner Familie anging. Aus diesem Grunde bedauerte ich doppelt, daß Markus Rivale nach Ragz zurückgekehrt war und besonders, daß er nochmals den Versuch gewagt hatte, Myra zu erwerben.
Dr. Roderich erzählte uns alle Einzelheiten dieses Besuches, den er in seinem Arbeitszimmer empfangen hatte. Wilhelm Storitz hatte sofort das Wort ergriffen, und zwar in Ausdrücken, die von seiner seltenen Zähigkeit sprachen. Herr Roderich könne nicht allzu sehr erstaunt sein, so sagte er – daß er wiederkomme und noch einen Versuch zur Erreichung seiner höchsten Wünsche unternehme, nachdem er – vor achtundvierzig Stunden – nach Ragz zurückgekehrt. Der Doktor war bei seiner festen Weigerung geblieben, aber Wilhelm Storitz hatte sich nicht für überzeugt erklärt, sondern mit immer lauter und zorniger werdender Stimme ausgerufen, die Verlobung Fräulein Myras mit meinem Bruder betrachte er keineswegs als ein Hindernis seiner Wünsche; er liebe das junge Mädchen und wenn sie ihm nicht angehören könne, so würde sie auch niemals die Frau eines andern werden!
»Der Elende!… der Unverschämte! knirschte Hauptmann Haralan ingrimmig. Und ich war nicht da, um ihn hinauszuwerfen!«
»Eines ist sicher, dachte ich, wenn sich diese beiden Menschen einmal gegenüberstehen, dann ist der vom Doktor gefürchtete Skandal fertig.«
»Als er das gesagt hatte, fuhr der Doktor fort, stand ich auf und bedeutete ihm, daß ich kein weiteres Wort mehr hören wolle. Myras Vermählung sei beschlossene Sache und würde in wenigen Tagen gefeiert werden. – ›Weder in wenigen Tagen noch später, noch überhaupt‹, schrie Wilhelm Storitz. – ›Mein Herr‹, sagte ich und zeigte auf die Türe, ›verlassen Sie mich!‹ Jeder andere hätte verstanden, daß er unmöglich länger bleiben könne. Können Sie es glauben? Er ging nicht, er blieb, sprach leiser und versuchte, durch Sanftmut zu erlangen, was seiner Heftigkeit nicht gelungen war; ich sollte ihm wenigstens versprechen, die Hochzeit aufzuschieben. Da stand ich auf und näherte mich dem Kamin, um dem Diener zu läuten. Er ergriff mich beim Arme, der Zorn packte ihn wieder und er schrie, daß man es auf der Straße gehört haben muß. Glücklicherweise waren meine Frau und Tochter noch nicht zurückgekehrt. Endlich ging Wilhelm Storitz, aber nicht, ohne die widersinnigsten Drohungen aussprechen: Myra würde niemals Markus’ Frau werden; es würden unvorhergesehene Hindernisse auftauchen, welche die Heirat unmöglich machen sollten. Jeder Storitz sei im Besitze von Geheimmitteln, gegen die alle menschliche Gewalt machtlos sei, und er werde von denselben ohne Zögern gegen die leichtsinnige Familie Roderich Gebrauch machen, die gewagt habe, ihn abzuweisen…. Dann öffnete er die Türe meines Zimmers und stürzte wutschnaubend hinaus, vorbei an den Leuten, die draußen warteten und ließ mich mit meiner Angst ob seiner unverständlichen Drohungen zurück.«
Kein Wort dieser unheimlichen Szene war – wie der Doktor wiederholt versicherte – zur Kenntnis seiner Frau und Tochter, sowie meines Bruders gelangt, und es war besser, sie nicht zu beunruhigen. Übrigens kannte ich meinen Bruder zu genau, um nicht zu fürchten, daß er, wie Hauptmann Haralan, die Sache verfolgen könne. Der letztere gab schließlich den Gründen und Bitten seines Vaters nach.
Ich nahm dem Doktor gegenüber in einem Fauteuil Platz. (S. 75.)
»Gut, sagte er, ich werde diesen Elenden nicht aufsuchen, um ihn zu züchtigen. Aber wie, wenn er zu mir kommt?… Oder wenn er Markus Übles zufügen will?… Wenn er uns beleidigt?«… Dr. Roderich blieb die Antwort schuldig.
Am Morgen fanden sich die zerrissenen und zerknitterten Papierreste. (S. 84.)
Unsere Besprechung war zu Ende. Jetzt mußte man abwarten, die Ereignisse an sich herantreten lassen. Dieser Zwischenfall war vielleicht überhaupt nicht der Beachtung wert; niemand würde davon erfahren, wenn Wilhelm Storitz nur seine Drohungen nicht zur Tat machte! Aber was konnte er tun? Durch welche Mittel hätte er die Heirat verhindern können? Wollte er Markus durch eine zugefügte öffentliche Beleidigung zwingen, sich mit ihm zu schlagen?… Oder hatte er irgend einen Gewaltstreich gegen Myra Roderich vor?… Wie könnte er denn in das Haus eindringen, da er sicher war, nicht mehr vorgelassen zu werden?… Es stand nicht in seiner Macht – so vermutete ich – Türen zu sprengen! Übrigens würde Dr. Roderich im Notfalle nicht zögern, den
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