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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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als von der Seite der Galerie her, deren Türe in den Garten führte, der noch ferne Gesang einer kräftigen, sonoren Stimme hörbar wurde. Es waren seltsame Töne von absonderlichem Rhythmus, denen jeder Zusammenhang fehlte; einzelne musikalische Phrasen, die kein Bindemittel einte.
    Die Paare, welche für den ersten Tanz aufgestellt waren, schwiegen erstaunt…. Man lauschte…. Vielleicht handelte es sich um eine festliche Überraschung?… Hauptmann Haralan hatte sich mir genähert.
    »Was soll das bedeuten? fragte ich.
    – Ich weiß es nicht, antwortete er mir in einem Tone, der seine geheime Unruhe nur zu sehr verriet.
    – Woher kommt der Gesang?… Von der Straße?…
    – Nein.. ich glaube nicht.«
    Und wirklich mußte derjenige, dessen Stimme an unser Ohr drang, jetzt im Garten sein und sich der Galerie nähern. Er konnte in jedem Moment eintreten.
    Hauptmann Haralan ergriff meinen Arm und zog mich neben die zum Garten führende Türe.
    In der Galerie befanden sich in diesem Augenblicke ungefähr zehn Personen – die Mitglieder des Orchesters nicht eingerechnet, die hinter ihren Pulten saßen. Die übrigen Gäste hatten sich in die anderen Räume verteilt. Diejenigen, welche während der Zwischenpause den Garten aufgesucht hatten, waren soeben wieder eingetreten.
    Hauptmann Haralan trat auf die Stiege. Ich folgte ihm und unsere Blicke durchforschten den in seiner ganzen Ausdehnung erleuchteten Garten… Wir sahen niemanden.
    Herr und Frau Roderich näherten sich uns in diesem Augenblicke und ersterer flüsterte seinem Sohne einige Worte zu, worauf dieser verneinend den Kopf schüttelte.
    Und die Stimme ließ sich noch immer hören, immer deutlicher, immer mächtiger und sie kam immer näher….
    Markus, mit Myra am Arme, trat gleichfalls auf die Galerie, während Frau Roderich sich zu den übrigen Damen begab, welche ihr eine Menge Fragen stellten, auf die sie keine Antwort zu erteilen vermochte.
    »Ich werde mir Gewißheit verschaffen«, rief Hauptmann Haralan und stieg die Stufen hinab.
    Dr. Roderich, mehrere Diener und ich folgten ihm. Plötzlich – der unsichtbare Sänger schien nur wenige Schritte von der Galerie entfernt – schwieg die Stimme.
    Der Garten wurde durchforscht, jedes Gebüsch wurde untersucht. Nachdem dank der reichlichen Beleuchtung auch nicht ein Winkel im Schatten lag, konnte die Nachsuche auf das genaueste abgehalten werden…. Trotzdem fand sich niemand….
    Sollte es nicht die Stimme eines verspätet heimkehrenden Passanten des Tököly-Walles gewesen sein?
    Diese Annahme war ziemlich unwahrscheinlich, außerdem konnten wir mühelos konstatieren, daß der Tököly-Wall gänzlich verödet und vereinsamt dalag.
    Ein einziges Licht erstrahlte in etwa fünfhundert Schritt Entfernung, es kam von der Aussichtswarte des Wilhelm Storitz gehörenden Hauses.
    Auf die Galerie zurückgekehrt, waren wir gleichfalls außer Stande, eine Auskunft zu erteilen; deshalb erteilte Hauptmann Haralan das Zeichen zum Beginn des Balles und die Paare formten sich wieder.
    »Nun, fragte Myra lächelnd, haben Sie keine Tänzerin gewählt?
    – Meine Tänzerin sind Sie, Fräulein Myra, aber erst für den zweiten Tanz.
    – Also, mein lieber Heinrich, sagte Markus, dann wollen wir Dich nicht mehr lange warten lassen.«
    Markus irrte sich! Ich hatte länger auf den mir von Myra versprochenen Walzer zu warten, als er glaubte. Eigentlich warte ich heute noch darauf.
    Das Orchester hatte das Vorspiel beendet, als die Stimme wieder ertönte… und diesmal inmitten des Saales…. Der Sänger selbst blieb unsichtbar….
    Dem Staunen, der Verwirrung der Gäste gesellte sich eine lebhafte Empfindung der Erbitterung zu. Die Stimme sang mit aller ihr zu Gebote stehenden Kraft das »Lied vom Hasse« von Friedrich Margrave, jene deutsche Hymne, die ihres gehässigen Inhaltes wegen überall gekannt ist. Darin lag eine Herausforderung des ungarischen Patriotismus, eine gewollte, direkte Beleidigung! Und derjenige, dessen Stimme so gewaltig inmitten des Zimmers ertönte… er war und blieb unsichtbar!… Er war nicht zu entdecken, und dennoch mußte er sich in diesem Raume befinden!
    Niemand dachte jetzt an den Tanz, lähmender Schrecken hatte sich der Anwesenden, besonders der Damen, bemächtigt.
    Hauptmann Haralan schritt durch den Saal, mit zornsprühenden Augen und vorgestreckten Händen, als ob er das Wesen, welches sich allen Blicken zu entziehen wußte, in jedem Augenblicke fassen wolle.
    Doch jetzt verstummte die

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