Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Verdacht zu erregen.
    Und gerade jetzt, nach all den sorgsamen Vorbereitungen, fiel der ganz unerwartete Hauptschlag….
    Die Wagen warteten; einer vor dem Haupttore, der andere vor einer Seitenpforte am Ende des Gartens; Dr. Roderich und mein Bruder traten in Myras Zimmer, um sie in den Wagen zu tragen….
    Aber an der Schwelle blieben sie stehen, von Todesschrecken wie gelähmt – das Bett war leer, Myra war verschwunden!!…

XVI.
    Myra war verschwunden!…
    Als dieser furchtbare Ruf durch das Haus gellte, wurde er zuerst überhaupt nicht verstanden. Verschwunden?… Was sollte das bedeuten? Das war ja zu unwahrscheinlich.
    Vor einer halben Stunde noch waren Frau Roderich und Markus in ihrem Zimmer gewesen; Myra lag wie immer ganz ruhig im Bette, war schon in Reisekleider gehüllt und atmete regelmäßig wie eine Schlafende. Wenige Minuten vorher hatte ihr Markus etwas Nahrung eingeflößt, darauf war er selbst zu Tische gegangen Nach beendeter Mahlzeit begaben sich Dr. Roderich und mein Bruder sogleich in ihr Zimmer, um sie in den Reisewagen zu tragen. Und da hatte es sie eben wie ein Todesstoß getroffen. Sie sahen sie nicht mehr auf ihrem Bette, das Zimmer war leer!
    »Myra!« schrie Markus und stürzte zum Fenster hin, um den Verschluß zu prüfen. Das Fenster war nicht geöffnet worden und der Raub, falls es sich hier um einen Raub handelte, war nicht auf diesem Wege ausgeführt worden.
    Frau Roderich kam schreckensbleich zu uns, dann Hauptmann Haralan, und durch das ganze Haus tönten die verzweifelten Rufe:
     

    Er wurde mit großer Kraft zurückgeschleudert. (S. 181.)
     
    »Myra!… Myra!…«
    Man begreift, daß keine Antwort auf die Rufe erschallte, und man wartete auf keine Antwort von ihr. Aber wie war ihr Verschwinden zu erklären? Sollte sie allein ihr Lager verlassen, das Zimmer ihrer Mutter durchschritten haben und die Treppe hinunter gegangen sein, ohne daß es jemand bemerkt hätte? War das als möglich anzunehmen?
    Ich brachte gerade in den Reisewagen die kleineren Gepäcksstücke unter, als ich die Schreie vernahm. Ich ließ alles stehen und eilte in den ersten Stock.
    Dr. Roderich und mein Bruder, welcher mit gebrochener Stimme unaufhörlich den Namen seiner Frau aussprach, gebärdeten sich wie Wahnwitzige.
    »Myra?… fragte ich, was meinst Du denn, Markus?«
    Der Doktor fand kaum die Kraft, mir zu antworten.
    »Meine Tochter – ist verschwunden!«
    Frau Roderich war ohnmächtig geworden; Hauptmann Haralan kam mit verzerrten Zügen und verstörten Blicken auf mich zu und sagte:
    »Er!… Wieder er!…«
    Ich bemühte mich, ruhig zu denken. Die Ansicht des Hauptmannes war kaum zu teilen. Es war nicht anzunehmen, daß sich Wilhelm Storitz in das Haus geschlichen habe, nach den getroffenen Vorsichtsmaßregeln. Allerdings, eine Abreise verursacht notwendigerweise immer eine gewisse Unordnung, die er sich vielleicht zunutze gemacht haben konnte; aber dann hätte er die ganze Zeit auf der Lauer liegen müssen, um den günstigen Augenblick zu erhaschen und eine geradezu wunderbare Geschicklichkeit und Schnelligkeit entfaltet haben.
    Aber selbst wenn ich diese Vermutungen gelten ließ, konnte ich an keine Entführung glauben. Ich hatte den Haupteingang, vor welchem der Wagen hielt, nicht einen Augenblick verlassen. Myra konnte unmöglich durch diese Tür gekommen sein und die Gartentür erreicht haben, ohne daß ich sie gesehen hätte! Wilhelm Storitz konnte sich ja unsichtbar machen, das war nicht zu leugnen; aber sie, Myra?… Ich stieg die Galerie hinab und rief den Diener. Die Gartenpforte, die auf den Tököly-Wall führte, wurde verschlossen und ich steckte den Schlüssel zu mir. Dann wurde das ganze Haus, der Dachboden, die Keller, jeder noch so kleine Raum, der Aussichtsturm bis zur Terrasse, aufs genaueste durchsucht, ich ließ keine Ecke unerforscht. Nach dem Hause kam der Garten an die Reihe…
    Ich konnte Myra nicht finden.
    Als ich wieder zu meinem Bruder kam, fand ich ihn in Tränen aufgelöst, er schluchzte herzbrechend.
    Vor allem mußte meiner Meinung nach der Polizeichef verständigt werden.
    »Ich eile ins Rathaus, kommen Sie mit mir«, sagte ich zu Hauptmann Haralan.
    Der Wagen wartete noch immer. Wir nahmen darin Platz; sobald das große Tor geöffnet war, rollte er im schnellsten Trabe in wenigen Minuten auf den Kurtz-Platz.
    Herr Stepark war noch in seinem Arbeitszimmer. Ich teilte ihm das Fürchterliche mit. Dieser Mann, welchen sonst nichts leicht in Erstaunen setzte,

Weitere Kostenlose Bücher