Wilhelm Tell
–
STAUFFACHER
(ruft)
Der Apfel ist gefallen!
(indem sich alle nach dieser Seite gewendet und Bertha zwischen Rudenz und den Landvogt sich geworfen, hat Tell den Pfeil
abgedrückt)
RÖSSELMANN
Der Knabe lebt!
|146| VIELE STIMMEN
Der Apfel ist getroffen!
(Walther Fürst schwankt und droht zu sinken, Bertha hält ihn)
GESSLER
(erstaunt)
Er hat geschossen? Wie? der Rasende!
BERTHA
Der Knabe lebt! kommt zu euch, guter Vater!
WALTHER TELL
(kommt mit dem Apfel gesprungen)
Vater, hier ist der Apfel – Wußt’ ichs ja,
Du würdest deinen Knaben nicht verletzen.
TELL
(stand mit vorgebognem Leib, als wollt’ er dem Pfeil folgen – die Armbrust entsinkt seiner Hand – wie er den Knaben kommen
sieht, eilt er ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen, und hebt ihn mit heftiger Inbrunst zu seinem Herzen hinauf, in dieser
Stellung sinkt er kraftlos zusammen. Alle stehen gerührt)
BERTHA
O gütger Himmel!
WALTHER FÜRST (
zu Vater und Sohn)
Kinder! meine Kinder!
STAUFFACHER
Gott sei gelobt!
|147| LEUTHOLD
Das war ein Schuß! Davon
Wird man noch reden in den spätsten Zeiten.
RUDOLPH DER HARRAS
Erzählen wird man von dem Schützen Tell,
Solang die Berge stehn auf ihrem Grunde.
(reicht dem Landvogt den Apfel)
GESSLER
Bei Gott! der Apfel mitten durch geschossen!
Es war ein Meisterschuß, ich muß ihn loben.
RÖSSELMANN
Der Schuß war gut, doch wehe dem, der ihn
Dazu getrieben, daß er Gott versuchte.
STAUFFACHER
Kommt zu euch, Tell, steht auf, ihr habt euch männlich
Gelößt, und frei könnt ihr nach Hause gehen.
RÖSSELMANN
Kommt, kommt und bringt der Mutter ihren Sohn.
(Sie wollen ihn wegführen)
GESSLER
Tell, höre!
|148| TELL
(kommt zurück)
Was befehlt ihr, Herr?
GESSLER
Du stecktest
Noch einen zweiten Pfeil zu dir – Ja, ja,
Ich sah es wohl – Was meintest du damit?
TELL
(verlegen)
Herr, das ist also bräuchlich bei den Schützen.
GESSLER
Nein Tell, die Antwort laß ich dir nicht gelten,
Es wird was anders wohl bedeutet haben.
Sag mir die Wahrheit frisch und frölich, Tell,
Was es auch sei, dein Leben sichr’ ich dir.
Wozu der zweite Pfeil?
TELL
Wohlan, o Herr,
Weil ihr mich meines Lebens habt gesichert,
So will ich euch die Wahrheit gründlich sagen.
(er zieht den Pfeil aus dem Goller und sieht den Landvogt mit einem furchtbaren Blick an)
Mit diesem zweiten Pfeil durchschoß ich – Euch,
|149| Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,
Und Eurer – wahrlich! hätt’ ich nicht gefehlt.
GESSLER
Wohl, Tell! Des Lebens hab ich dich gesichert,
Ich gab mein Ritterwort, das will ich halten –
Doch weil ich deinen bösen Sinn erkannt,
Will ich dich führen lassen und verwahren,
Wo weder Mond noch Sonne dich bescheint,
Damit ich sicher sei vor deinen Pfeilen.
Ergreift ihn, Knechte! Bindet ihn!
(Tell wird gebunden)
STAUFFACHER
Wie, Herr?
So könntet ihr an einem Manne handeln,
An dem sich Gottes Hand sichtbar verkündigt?
GESSLER
Laß sehn, ob sie ihn zweymal retten wird.
– Man bring ihn auf mein Schiff, ich folge nach
Sogleich, ich selbst will ihn nach Küßnacht führen.
RÖSSELMANN
Das dürft ihr nicht, das darf der Kaiser nicht,
Das widerstreitet unsern Freiheitsbriefen!
|150| GESSLER
Wo sind sie? Hat der Kaiser sie bestätigt?
Er hat sie nicht bestätigt – Diese Gunst
Muß erst erworben werden durch Gehorsam.
Rebellen seid ihr alle gegen Kaisers
Gericht und nährt verwegene Empörung.
Ich kenn euch alle – ich durchschau euch ganz –
Den nehm ich jetzt heraus aus eurer Mitte,
Doch alle seid ihr theilhaft seiner Schuld,
Wer klug ist, lerne schweigen und gehorchen.
(er entfernt sich, Bertha, Rudenz, Harras und Knechte folgen, Frießhardt und Leuthold bleiben zurück)
WALTHER FÜRST
(in heftigem Schmerz)
Es ist vorbei, er hats beschlossen, mich
Mit meinem ganzen Hause zu verderben!
STAUFFACHER
(zum Tell)
O warum mußtet ihr den Wüthrich reizen!
TELL
Bezwinge sich, wer meinen Schmerz gefühlt!
STAUFFACHER
O nun ist alles, alles hin! Mit euch
Sind wir gefesselt alle und gebunden!
|151| LANDLEUTE
(umringen den Tell)
Mit euch geht unser letzter Trost dahin!
LEUTHOLD
(nähert sich)
Tell, es erbarmt mich – doch ich muß gehorchen.
TELL
Lebt wohl!
WALTHER TELL
(sich mit heftigem Schmerz an ihn schmiegend)
O Vater! Vater! Lieber Vater!
TELL
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