Wilhelm Tell
sagt, du nehmst es auf mit jedem Schützen?
WALTHER TELL
Und das muß wahr seyn, Herr – ‘nen Apfel schießt
Der Vater dir vom Baum auf hundert Schritte.
GESSLER
Ist das dein Knabe, Tell?
TELL
Ja, lieber Herr. GESSLER
Hast du der Kinder mehr?
|135| TELL
Zwey Knaben, Herr.
GESSLER
Und welcher ists, den du am meisten liebst?
TELL
Herr, beide sind sie mir gleich liebe Kinder.
GESSLER
Nun Tell! Weil du den Apfel trifst vom Baume
Auf hundert Schritte, so wirst du deine Kunst
Vor mir bewähren müßen – Nimm die Armbrust –
Du hast sie gleich zur Hand – und mach dich fertig,
Einen Apfel von des Knaben Kopf zu schießen –
Doch will ich rathen, ziele gut, daß du
Den Apfel treffest auf den ersten Schuß,
Denn fehlst du ihn, so ist dein Kopf verloren.
(Alle geben Zeichen des Schreckens)
TELL
Herr – Welches Ungeheure sinnet ihr
Mir an – Ich soll vom Haupte meines Kindes –
– Nein, nein doch, lieber Herr, das kömmt euch nicht
|136| Zu Sinn – Verhüts der gnädge Gott – das könnt ihr
Im Ernst von einem Vater nicht begehren!
GESSLER
Du wirst den Apfel schießen von dem Kopf
Des Knaben – Ich begehrs und wills.
TELL
Ich soll
Mit meiner Armbrust auf das liebe Haupt
Des eignen Kindes zielen – Eher sterb ich!
GESSLER
Du schießest oder stirbst mit deinem Knaben.
TELL
Ich soll der Mörder werden meines Kinds!
Herr, ihr habt keine Kinder – wisset nicht,
Was sich bewegt in eines Vaters Herzen.
GESSLER
Ey Tell, du bist ja plötzlich so besonnen!
Man sagte mir, daß du ein Träumer seyst,
Und dich entfernst von andrer Menschen Weise.
Du liebst das Seltsame – Drum hab’ ich jezt
|137| Ein eigen Wagstück für dich ausgesucht.
Ein andrer wohl bedächte sich – Du drückst
Die Augen zu, und greifst es herzhaft an.
BERTHA
Scherzt nicht, o Herr! mit diesen armen Leuten!
Ihr seht sie bleich und zitternd stehn – So wenig
Sind sie Kurzweils gewohnt aus eurem Munde.
GESSLER
Wer sagt euch, daß ich scherze?
(greift nach einem Baumzweige, der über ihn herhängt)
Hier ist der Apfel.
Man mache Raum – Er nehme seine Weite,
Wies Brauch ist – Achzig Schritte geb ich ihm –
Nicht weniger, noch mehr – Er rühmte sich,
Auf ihrer hundert seinen Mann zu treffen –
Jezt Schütze triff, und fehle nicht das Ziel!
RUDOLPH DER HARRAS
Gott, das wird ernsthaft – Falle nieder Knabe,
Es gilt, und fleh den Landvogt um dein Leben.
WALTHER FÜRST
(bei Seite zu Melchthal, der kaum seine Ungeduld bezwingt)
Haltet an euch, ich fleh euch drum, bleibt ruhig.
|138| BERTHA
(zum Landvogt)
Laßt es genug seyn Herr! Unmenschlich ists,
Mit eines Vaters Angst also zu spielen.
Wenn dieser arme Mann auch Leib und Leben
Verwirkt durch seine leichte Schuld, bei Gott!
Er hätte jezt zehnfachen Tod empfunden.
Entlaßt ihn ungekränkt in seine Hütte,
Er hat euch kennen lernen, dieser Stunde
Wird er und seine Kindeskinder denken.
GESSLER
Oefnet die Gasse – Frisch! Was zauderst du?
Dein Leben ist verwirkt, ich kann dich tödten,
Und sieh, ich lege gnädig dein Geschick
In deine eigne kunstgeübte Hand.
Der kann nicht klagen über harten Spruch,
Den man zum Meister seines Schicksals macht.
Du rühmst dich deines sichern Blicks! Wohlan!
Hier gilt es, Schütze, deine Kunst zu zeigen[,]
Das Ziel ist würdig und der Preiß ist groß!
Das Schwarze treffen in der Scheibe, das
Kann auch ein andrer, der ist mir der Meister,
|139| Der seiner Kunst gewiß ist überal,
Dems Herz nicht in die Hand tritt noch ins Auge.
WALTHER FÜRST
(wirft sich vor ihm nieder)
Herr Landvogt, wir erkennen eure Hoheit,
Doch lasset Gnad’ vor Recht ergehen, nehmt
Die Hälfte meiner Haabe, nehmt sie ganz,
Nur dieses Gräßliche erlasset einem Vater!
WALTHER TELL
Großvater, knie nicht vor dem falschen Mann!
Sagt, wo ich hinstehn soll, ich fürcht mich nicht,
Der Vater trift den Vogel ja im Flug,
Er wird nicht fehlen auf das Herz des Kindes.
STAUFFACHER
Herr Landvogt, rührt euch nicht des Kindes Unschuld?
RÖSSELMANN
O denket, daß ein Gott im Himmel ist,
Dem ihr müßt Rede stehn für eure Thaten.
GESSLER
(zeigt auf den Knaben)
Man bind ihn an die Linde dort!
|140| WALTHER TELL
Mich binden!
Nein, ich will nicht gebunden seyn. Ich will
Still halten, wie ein Lamm und auch nicht athmen.
Wenn ihr mich bindet, nein, so kann ichs nicht,
So
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