Wilhelm Tell
Leibeskräften angestemmt,
Den hintern Gransen an die Felswand hin –
Jezt schnell mein Schießzeug fassend, schwing ich selbst
Hochspringend auf die Platte mich hinauf,
Und mit gewaltgem Fußstoß hinter mich
Schleudr’ ich das Schifflein in den Schlund der Wasser –
Dort mags, wie Gott will, auf den Wellen treiben!
So bin ich hier, gerettet aus des Sturms
Gewalt und aus der schlimmeren der Menschen[.]
|164| FISCHER
Tell, Tell, ein sichtbar Wunder hat der Herr
An euch gethan, kaum glaub ichs meinen Sinnen –
Doch saget! Wo gedenket ihr jezt hin,
Denn Sicherheit ist nicht für euch, wofern
Der Landvogt lebend diesem Sturm entkommt.
TELL
Ich hört’ ihn sagen, da ich noch im Schiff
Gebunden lag, er woll’ bei Brunnen landen,
Und über Schwytz nach seiner Burg mich führen.
FISCHER
Will er den Weg dahin zu Lande nehmen?
TELL
Er denkts.
FISCHER
O so verbergt euch ohne Säumen,
Nicht zweymal hilft euch Gott aus seiner Hand.
TELL
Nennt mir den nächsten Weg nach Arth und Küßnacht.
FISCHER
Die offne Straße zieht sich über Steinen,
|165| Doch einen kürzern Weg und heimlichern
Kann euch mein Knabe über Lowerz führen.
TELL
(giebt ihm die Hand)
Gott lohn euch eure Gutthat. Lebet wohl.
(geht und kehrt wieder um)
– Habt ihr nicht auch im Rütli mit geschworen?
Mir däucht, man nannt euch mir –
FISCHER
Ich war dabei,
Und hab den Eid des Bundes mit beschworen.
TELL
So eilt nach Bürglen, thut die Lieb’ mir an,
Mein Weib verzagt um mich, verkündet ihr,
Daß ich gerettet sey und wohl geborgen.
FISCHER
Doch wohin sag ich ihr, daß ihr geflohn?
TELL
Ihr werdet meinen Schwäher bei ihr finden
Und andre, die im Rütli mit geschworen –
Sie sollen wacker seyn und gutes Muths,
|166| Der Tell sey frei und seines Armes mächtig,
Bald werden sie ein weitres von mir hören.
FISCHER
Was habt ihr im Gemüth? Entdeckt mirs frei.
TELL
Ist es gethan, wirds auch zur Rede kommen.
(geht ab)
FISCHER
Zeig ihm den Weg, Jenny – Gott steh ihm bey!
Er führts zum Ziel, was er auch unternommen.
(geht ab)
ZWEYTE SCENE
Edelhof zu Attinghausen
Der
FREIHERR,
in einem Armsessel, sterbend.
WALTHER FÜRST, STAUFFACHER, MELCHTHAL
und
BAUMGARTEN
um ihn beschäftigt.
WALTHER TELL
knieend vor dem Sterbenden.
WALTHER FÜRST
Es ist vorbei mit ihm, er ist hinüber.
STAUFFACHER
Er liegt nicht wie ein Todter – Seht, die Feder
|167| Auf seinen Lippen regt sich! Ruhig ist
Sein Schlaf und friedlich lächeln seine Züge.
(Baumgarten geht an die Thüre und spricht mit jemand)
WALTHER FÜRST
(zu Baumgarten)
Wer ists?
BAUMGARTEN
(kommt zurück)
Es ist Frau Hedwig, eure Tochter,
Sie will euch sprechen, will den Knaben sehn.
(Walther Tell richtet sich auf)
WALTHER FÜRST
Kann ich sie trösten? Hab ich selber Trost?
Häuft alles Leiden sich auf meinem Haupt?
HEDWIG
(hereindringend)
Wo ist mein Kind? Laßt mich, ich muß es sehn –
STAUFFACHER
Faßt euch, bedenkt, daß ihr im Haus des Todes –
HEDWIG
(stürzt auf den Knaben)
Mein Wälty! O er lebt mir.
WALTHER TELL
(hängt an ihr)
Arme Mutter!
|168| HEDWIG
Ists auch gewiß? Bist du mir unverlezt?
(betrachtet ihn mit ängstlicher Sorgfalt)
Und ist es möglich? Konnt’ er auf dich zielen?
Wie konnt’ ers? O er hat kein Herz – Er konnte
Den Pfeil abdrücken auf sein eignes Kind!
WALTHER FÜRST
Er thats mit Angst, mit schmerzzerrissner Seele,
Gezwungen that ers, denn es galt das Leben.
HEDWIG
O hätt er eines Vaters Herz, eh er’s
Gethan, er wäre tausendmal gestorben!
STAUFFACHER
Ihr solltet Gottes gnädge Schickung preisen,
Die es so gut gelenkt –
HEDWIG
Kann ich vergessen,
Wie’s hätte kommen können – Gott des Himmels!
Und lebt’ ich achtzig Jahr – Ich seh den Knaben ewig
Gebunden stehn, den Vater auf ihn zielen,
Und ewig fliegt der Pfeil mir in das Herz.
|169| MELCHTHAL
Frau, wüßtet ihr, wie ihn der Vogt gereizt!
HEDWIG
O rohes Herz der Männer! Wenn ihr Stolz
Beleidigt wird, dann achten sie nichts mehr,
Sie setzen in der blinden Wuth des Spiels
Das Haupt des Kindes und das Herz der Mutter!
BAUMGARTEN
Ist eures Mannes Loos nicht hart genug,
Daß ihr mit schwerem Tadel ihn noch kränkt?
Für seine Leiden habt ihr kein Gefühl?
HEDWIG
(kehrt sich nach ihm um und sieht ihn mit einem großen Blick an)
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