Will Trent 01 - Verstummt
Zeige- und Mittelfinger wanderten langsam in die Höhe. Die zweite Möglichkeit also. Das überrascht mich nicht.
»Ich habe ihm gesagt, er soll gehen, sonst melde ich ihn, und deshalb ist er gegangen.«
»Ich ha' i'...« Sein Mund schloss sich wieder. Sie merkte, dass er diese Sprechversuche hasste. »Ha' i' komm.«
»Ja«, sagte sie. Michael war Ken als Partner zugewiesen worden. »Du hast ihn bekommen.«
Dann saßen sie beide da, und Kens Mund arbeitete, aber es kamen keine Geräusche heraus. Angie bemühte sich um eine neutrale Miene, wollte sich nicht anmerken lassen, wie schwer ihr es fiel, ihn so zu sehen.
Schließlich sagte er: »Du«, so klar, dass jeder es verstehen konnte.
»Was ich?«
Er starrte Angie direkt in den Ausschnitt. Sie richtete sich auf und lachte. »Mein Gott, Wozniak. Du alter Schweinigel.«
»Nei'.« Er wischte ihre Interpretation mit einer Handbewegung beiseite. »Ni' da'.« Er blickte sich im Zimmer um, als suchte er irgendein Hilfsmittel. Schließlich schaute er wieder auf seine Hände. Sie beobachtete, wie er unter großer Anstrengung den rechten Zeigefinger ausstreckte und dann mit linkem Daumen und Zeigefinger einen Kreis bildete. Dann schob er den Kreis auf dem Zeigefinger auf und ab.
Angie verschränkte die Arme. »Mann, was ist denn los mit dir?«
»Nei'«, beharrte er. Nein.
»laja«, blaffte sie und wiederholte die Fickgeste mit ihren Händen. »Hab dich schon verstanden, Ken. Ich weiß genau, worauf du hinauswillst, und es überrascht mich, dass du es noch kannst, aber passieren wird es auf gar keinen Fall.«
»Du!«, schrie er sie an und deutete mit dem Finger auf sie. »Maiel.« Er machte die Geste noch einmal.
»Ach sooo.« Sie zog das Wort in die Länge, als sie nun endlich begriff, was er meinte. Du und Michael.
Sie fragte: »Du hast das gewusst?«
Ken hob die Augenbrauen. Wer nicht?
»Ja«, gab sie zu. »Ich habe mit ihm gefickt.«
»Eh mi' gesaht.«
»Das kann ich mir denken.« O Gott, sie wussten alle Bescheid. »Eh«, sagte Ken. Hey.
Sie hob den Kopf. Er hielt die offene Handfläche nach oben, offensichtlich die Frage, was es sonst noch gebe.
»Eins meiner Mädchen wurde ermordet.«
Er deutete zum Fernseher. »Home.« Er hatte die Meldung anscheinend in den Nachrichten gesehen.
»Ja, sie wohnte in den Grady Homes«, erzählte ihm Angie. »Die Zunge wurde ihr abgebissen. Sie ist an ihrem eigenen Blut erstickt.«
»Maiel?«
Eine Weile dachte Angie, er frage sie, ob Michael sie umgebracht habe. Dann erst begriff sie, was er eigentlich wissen wollte.
»Keine Ahnung, ob Aleesha eins der Mädchen war, das mit ihm ging, um einer Verhaftung zu entgehen«, gab Angie zu. »Ich hörte ungefähr zur selben Zeit auf, in den Homes zu arbeiten, als er dein Partner wurde. Meine Tarnung war aufgeflogen.«
»We'?«
Angie musste über sich selbst lachen. Sie hatte sich nie überlegt, wer sie verraten haben könnte, hatte einfach angenommen, dass man nur soundsovielmal mit einem Kunden weggehen und nicht mehr mit ihm zurückkommen konnte, bis die Leute merkten, dass man Polizistin war.
»Schätze, Michael könnte mich verpfiffen haben«, räumte sie ein. »Vielleicht dachte er, er könne mich dadurch in Schwierigkeiten bringen, aber ich wurde einfach in eine andere Gegend versetzt. Neue Mädchen. Neue Kunden.« Dabei dachte sie vor allem an einen, der gar kein richtiger Kunde war. »Vor ein paar Monaten kam Michael zu meinem neuen Einsatzort«, berichtete sie Ken. »Erst dachte ich, er wolle mal wieder nur das Arschloch spielen, aber er sagte uns, wir sollten auf der Hut sein vor einem, der eben auf Bewährung entlassen wurde, meinte, der wäre ein total versifftes Schwein.«
Ken schnaubte. Offensichtlich hatte er das Vergnügen gehabt, sich Michaels Blech anhören zu dürfen.
»Ja, ich habe mir auch nicht viel dabei gedacht!«, gab sie zu.
»Aber dann traf ich den Kerl, vor dem er uns gewarnt hatte. Sein Name ist John Shelley.«
Ken zuckte die Achseln. Nie von ihm gehört.
»Wie auch immer«, sagte Angie, die wusste, dass sie sich im Kreis drehte. »Am Tag nach Aleesha Monroes Ermordung wurde Michaels Nachbarin tot in ihrem Hinterhof aufgefunden.«
»Sunge?«
»Ja«, antwortete Angie. Sie erzählte ihm Dinge, die er aus den Nachrichten nie erfahren hätte. Angie wusste diese Details nur von Will. »Die Zunge der Nachbarin wurde herausgeschnitten. Monroes wurde abgebissen, trotzdem...«
Ken hockte einfach nur da. Angie hatte ein schlechtes Gewissen. Der
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