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Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Augenblick, da sich ihm die Gelegenheit bot, war John genauso sadistisch und rachedurstig gewesen wie sein Cousin. Hatte seine Mutter dafür gekämpft? Hatte sie dafür Stunde um Stunde in ihre Notizbücher geschrieben, damit der kleine Johnny aus dem Gefängnis kam und eine Fünfzehnjährige verstümmeln konnte? Zum ersten Mal in seinem Leben war John froh, dass seine Mutter nicht mehr lebte, froh, dass er ihr nie wieder in die wunderschönen Augen schauen musste in dem Wissen, dass sie jemanden vor sich sah, der zu solchen Abscheulichkeiten fähig war.
    »Noch einen Kaffee?«, fragte die Kellnerin, schenkte aber bereits Johns Tasse wieder voll.
    »Danke«, murmelte er.
    Die Tür ging auf, und als sein Blick in den Spiegel hinter der Theke fiel, sah er Robin mit den Händen in den Hüften dastehen und sich nach einem Tisch umsehen. Das Restaurant war ziemlich voll, weshalb sie nicht bemerkte, dass er sie anstarrte.
    Am liebsten hätte er sich umgedreht, doch er verkniff es sich. Er wollte sie zu sich rufen, auf den leeren Hocker neben sich deuten und ihr einfach zuhören. Doch es war schon zu viel passiert. Er hatte Blut an den Händen, Schuld im Herzen. Er starrte auf seine Tasse hinunter, starrte in die trübe Flüssigkeit und wünschte sich, sie könnte ihm die Zukunft zeigen. Würde es in seinem Leben je eine Frau geben? Würde er je jemanden finden, der wusste, was ihm passiert war, was er getan hatte, und nicht schreiend davonlief?
    »Hey, du da.« Robin setzte sich auf den Hocker neben ihm. Sie war anders angezogen. Ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, und sie trug Jeans und ein T-Shirt anstelle ihrer Nuttenklamotten. »Hey«, sagte John. »Feierabend?«
    »Ja«, antwortete sie, drehte ihre Kaffeetasse um und winkte der Kellnerin.
    Irgendetwas war anders an ihr, aber John kam nicht darauf, was genau. Es hatte nichts mit ihrer Kleidung zu tun oder der Tatsache, dass sie nicht so stark geschminkt war. Wenn er sie besser gekannt hätte, würde er vielleicht sagen, dass sie nervös war.
    »Denkst du eigentlich manchmal, dass du deinen Job hasst? Dass du am liebsten wegrennen und nie mehr zurückschauen würdest?«, fragte sie ihn.
    Er lächelte. Ans Wegrennen hatte er die ganze Zeit über im Coastal gedacht. »Alles okay mit dir?«
    Sie nickte und lächelte dann verschmitzt. »Verfolgst du mich eigentlich? Erst im Krankenhaus und jetzt hier?«
    Er sah sich um. »Gehört dir der Laden hier, oder was?«
    »Ich komme immer zum Frühstücken hierher.«
    »Tut mir leid«, sagte er. »Sah einfach aus wie ein Laden, wo man ganz gut ein bisschen sitzen kann.« Er hatte zum ersten Mal seit Ewigkeiten Geld in der Tasche gehabt und sich etwas gönnen wollen.
    »Ich habe dich angelogen«, sagte sie.
    »Wegen was?«
    »Mein erster Kuss«, antwortete sie. »Es war nicht der beste Freund meines kleinen Bruders.«
    Er versuchte, einen Witz daraus zu machen, auch wenn er sich verletzt fühlte. »Bitte sag mir nicht, dass es dein kleiner Bruder war.«
    Sie lächelte und goss Sahne in ihren Kaffee. »Meine Eltern waren auf Speed«, erklärte sie. »Zumindest meine Mutter und immer derjenige, den sie gerade vögelte.« Robin rührte den Kaffee um. »Der Staat nahm mich ihr weg, als ich noch ein kleines Mädchen war.«
    John wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Schließlich begnügte er sich mit: »Es tut mir leid, das zu hören.«
    »Ja«, sagte sie. »Eine Zeit lang war ich bei verschiedenen Pflegeeltern. Habe eine Menge Pflegeväter kennengelernt, die es freute, ein kleines Mädchen unter ihrem Dach zu haben.«
    John schwieg und schaute ihr beim Umrühren zu. Sie hatte sehr, sehr kleine Hände. Woher kam es nur, dass Frauenhände so viel attraktiver waren als die von Männern?
    »Was ist mit dir?«, fragte sie. »Stammst du auch aus einem kaputten Zuhause?«
    Ihr Ton klang sarkastisch. John hatte jede Menge Verbrecher kennengelernt, die behaupteten, sie seien Opfer der Umstände, ihre zerrütteten Familien hätten sie in das Verbrecherleben getrieben. So, wie sie ihre Geschichten erzählten, glaubte man, sie hatten keine andere Wahl gehabt.
    »Nein«, erwiderte er. »Ich stamme aus einer völlig normalen Familie. Eine wunderbare, Plätzchen backende, sozial engagierte Mom. Ein etwas distanzierter Vater, der aber jeden Abend pünktlich zu Hause war und sich für das interessierte, was ich machte.« Er dachte an Joyce. Wahrscheinlich hing sie jetzt in diesem Augenblick am Telefon und zog die Strippen. Er

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