Will Trent 01 - Verstummt
denken, das ihn von seinem Ziel abbrachte. Das Ziel war John, und mit weniger als einem Volltreffer würde er sich nicht zufrieden geben.
Er klopfte einmal und betrat den Raum, ohne auf eine Antwort zu warten. John Shelley saß am Tisch. Seine Anwältin hatte neben ihm Platz genommen, beugte sich zu ihm und hielt seine Hände.
Sie trennten sich schnell, als Will ins Zimmer kam.
»Bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung«, sagte Will.
Die Frau stand auf. Ihre Stimme klang empört. Auch wenn sie Spezialistin für Immobilien war, war sie doch immer noch Anwältin. »Ist mein Mandant verhaftet?«
»Ich bin Special Agent Will Trent«, sagt er. »Und wer sind Sie?«
»Katherine Keenan. Können Sie mir sagen, warum mein Mandant hier ist?«
»Soweit ich weiß, sind Sie Immobilienanwältin«, entgegnete Will. »Vertreten Sie Mr. Shelley in einer Akquisition?«
Sie kniff die Augen zusammen. »Ist er verhaftet oder nicht?«
Noch während Will sich setzte, fragte er: »Darf ich?«
»Detective, es ist mir egal, ob Sie sitzen oder stehen oder in der Luft schweben. Hören Sie auf mit Ihren Spielchen, und beantworten Sie meine Frage.«
John senkte den Kopf, aber davor konnte Will noch sehen, dass er lächelte.
»Nun gut.« Will ließ sich den beiden gegenüber nieder und sagte zu der Anwältin: »Wenn ich Sie korrigieren darf, es heißt Special Agent Trent. Detectives arbeiten für die örtlichen Polizeibehörden. Ich bin ein Beamter des Bundesstaates, des Georgia Bureau of Investigation. Vielleicht kennen Sie uns aus den Nachrichten?«
Keenan wusste offensichtlich nicht, was diese Bemerkung zu bedeuten hatte, aber John schien zu begreifen, worin der Unterschied lag. Der Staat machte Druck. Entweder kamen die örtlichen Behörden mit dem Fall nicht zurecht, oder das Verbrechen fiel in mehrere Zuständigkeitsbereiche.
John sagte: »Ich beantworte keine Fragen.«
Will entgegnete: »Das ist okay, Mr. Shelley. Ich habe keine Fragen an Sie. Wenn ich welche hätte, würde ich Dinge fragen wie: >Wo waren Sie am Abend des dritten Dezember letzten Jahres?< Oder vielleicht würde ich Sie nach dem dreizehnten Oktober fragen.« Falls diese Datumsangaben für John irgendeine Bedeutung hatten, ließ er es sich nicht anmerken. Will fuhr fort: »Und dann könnte ich vielleicht neugierig werden in Bezug auf letzten Sonntag.« Jetzt bemerkte er eine Reaktion. Will legte sofort nach. »An den Tag werden Sie sich wegen des Superbowl erinnern. Und dann der nächste Tag, der sechste. Das war ein Montag. Vielleicht würde ich Sie fragen, wo Sie am letzten Montag waren.«
Keenan sagte: »Er muss auf keine Ihrer Fragen antworten.«
Will sprach nun direkt John an. »Sie müssen mir vertrauen.«
John starrte Will an, als wäre er eine nackte Wand.
Will lehnte sich zurück und erläuterte den beiden den Sachverhalt. »Ich habe eine tote Prostituierte, einen toten Teenager und zwei Mädchen, die ein wenig nördlich von hier leben und sich jetzt überlegen, wie sie den Rest ihres Lebens ertragen sollen, nachdem man ihnen die Zunge abgebissen hat.«
Während er dies sagte, beobachtete Will die Anwältin. Sie war nicht so professionell wie John, aber auch sie hatte gelernt, ihre Gefühle zu verbergen.
Will fuhr fort: »Ich habe außerdem ein verschwundenes kleines Mädchen. Jasmine heißt sie. Sie ist vierzehn und lebt mit ihrem kleinen Bruder, Cedric,
in den Homes. Am letzten Sonntag bezahlte ein Weißer mit braunen Haaren ihr zwanzig Dollar, damit sie einen Anruf erledigte.«
John faltete die Hände auf dem Tisch.
»Das Komische ist, für den Anruf selbst gab der Mann ihr nur ein Zehncentstück.« Will hielt einen Augenblick inne. »Ich glaube, zehn Cent kostet ein Anruf aus einer Telefonzelle schon seit mindesten neunzehnfünfundachtzig nicht mehr.«
John knetete die Hände.
Will wandte sich nun an die Anwältin: »Ms. Keenan, eine Frage stellt sich uns immer wieder: Woher kennt John Shelley Michael Ormewood?«
Ihr stockte sichtlich der Atem, als sie den Namen hörte. »Kathy«, warnte sie John.
Will erläuterte die Lage: »Am letzen Montag starb ein fünfzehnjähriges Mädchen. Ihr wurde die Zunge herausgeschnitten. Dabei geht mir der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf, Mr. Shelley, dass Sie vor zwanzig Jahren einem anderen Mädchen die Zunge herausgeschnitten haben.«
Keenan konnte sich nicht mehr zurückhalten. »Sie wurde nicht herausgeschnitten!«
»Kathy«, sagte John. »Warte draußen.«
»John...«
»Bitte«, bat er sie.
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