Will Trent 01 - Verstummt
und sagte: »Nein, wirklich. Das ist schon in Ordnung.«
»Ich zahle meine Schulden immer«, beharrte die ältere Nutte. »Freundlichkeiten von Fremden oder was sonst.« Mit dem Blick verfolgte sie ein Auto, das eben auf den Parkplatz fuhr. »Scheiße, das ist mein Stammgast«, sagte sie und wischte sich mit dem Handrücken Blut von der Oberlippe. Sie winkte John noch einmal zu, als sie in das Auto des Mannes stieg, und schrie etwas, das er nicht verstand.
John sah dem Auto nach und spürte dabei die ganze Zeit Robins Blick auf sich. Sie hatte den gleichen Starrblick wie ein Bulle: Was hast du verdammt noch mal vor, und wo muss ich dich treffen, damit du in die Knie gehst?
Sie sagte: »Ich bin doch nicht ihre Scheiß Vertretung.«
»Zerbrich dir deswegen nicht den Kopf«, entgegnete er und hob noch einmal die Hände. »Wirklich.«
»Was?«, fragte sie. »Bist du dir zu fein, dafür zu bezahlen?«
»Das habe ich nicht gesagt«, entgegnete er und spürte, wie er rot wurde. Fünf oder sechs andere Nutten standen herum, die ihren Wortwechsel ganz ungeniert verfolgten, und bei ihrem amüsierten Mienenspiel hatte er das Gefühl, dass sein Schwanz mit jeder Sekunde kleiner wurde.
Er fügte hinzu: »Und sie hat nichts von Bezahlen gesagt.« Als Robin ihm nicht sofort etwas anderes entgegen blaffte, sagte er: »Ich hab ihr nur einen Gefallen getan.«
»Aber du hast mir keinen Gefallen getan.«
»Dann tu du mir auch keinen«, erwiderte er und wandte sich zum Gehen.
»Hey!«, schrie sie. »Lass mich nicht einfach so stehen.«
Ohne nachzudenken hatte er sich umgedreht, als sie anfing zu schreien. Ganz offensichtlich bediente sie ihr Publikum. Er spürte, wie er noch ein paar Zentimeter schrumpfte.
Mit bemüht ruhiger Stimme fragte er: »Was?«
»Ich sagte, lass mich nicht einfach so stehen, du blöder Sack.«
John schüttelte den Kopf. Viel schlechter konnte der Tag nicht mehr werden, dachte er. »Willst du es wirklich tun?«, fragte er und griff in die Hosentasche. In den letzten drei Wochen hatte er zwanzig Dollar pro Woche gespart, damit er die Raten für den Fernseher stemmen konnte. Er hatte fünfzig in der Tasche und siebzig im Schuh. John bezweifelte, ob das Mädchen während der mittäglichen Stoßzeit auch nur halb so viel verdiente. Mann, das kriegte er ja kaum pro Tag.
Sie reckte trotzig das Kinn vor. Anscheinend hatten sie diese Geste in der Nuttenschule gelernt oder wo auch immer. Sie fragte: »Wie viel hast du?«
»Genug«, sagte er. Was trieb er da eigentlich? Seine Zunge fühlte sich im Mund ziemlich dick an, und er hatte mehr Spei
chel, als er bewältigen konnte. Aber das Geldherzeigen hatte gewirkt. Das Gegacker war verstummt.
Robin starrte ihn noch ein paar Sekunden an und nickte dann einmal. »Okay«, sagte sie, »willst du was zu essen und zu trinken?«
John kaute auf der Unterlippe und überschlug im Kopf, wie viel ihn das kosten würde. »Ich habe eben gegessen«, erwiderte er. »Wenn du was trinken willst...«
»O Gott«, stöhnte sie und verdrehte die Augen. »Bist du ein Bulle?«
»Nein«, sagte er, wusste aber nicht, worauf sie hinauswollte.
»Halb-halb«, sagte sie. »Essen und Trinken.«
Johns Blick fiel auf die anderen Frauen. Sie lachten schon wieder über ihn.
»Schnauze«, blaffte Robin, und im ersten Augenblick dachte John, sie würde ihn meinen. »Komm«, sagte sie und fasste ihn am Arm.
Zum zweiten Mal an diesem Tag ging John mit einer Nutte die Straße entlang. Die neue war um einiges besser als die letzte. Zum einen wirkte sie sauberer. Ihre Haut fühlte sich wahrscheinlich weich an. Sogar die Haare sahen gut aus - dicht und gesund, nicht strähnig von zu vielen Drogen oder mit irgendeiner billigen Perücke bedeckt. Sie roch auch nicht wie eine Raucherin. Johns Zellengenosse war Kettenraucher gewesen, der eine an der anderen angesteckt hatte. Der Kerl konnte nicht mal mehr als eine Stunde schlafen, ohne aufzuwachen und eine zu rauchen, und es gab Tage, an denen er schlimmer stank als ein Aschenbecher.
Robin zog ihn in das Waldstück hinter dem Colonial Restaurant und fragte ihn über die Schulter hinweg: »Hast du genug für ein Zimmer?«
Er antwortete nicht, konnte einfach nicht glauben, dass das alles wirklich passierte. Sie hielt seine Hand, ging mit ihm durch den Wald, als hätten sie ein Rendezvous. Er wollte ihre Stimme noch einmal hören. Der Ton war besänftigend, obwohl sie es ganz offensichtlich eilig hatte, die Sache hinter sich zu bringen.
Sie blieb
Weitere Kostenlose Bücher