Will Trent 01 - Verstummt
führen durfte, wo sie pro Stunde wahrscheinlich mehr verdiente als er in drei. Mann. Er hätte seinen Job verlieren können. Er hätte wieder ins Gefängnis wandern können.
Art bekam ein hübsches Sümmchen vom Staat dafür, dass er einen Strafentlassenen beschäftigte, und dazu noch Steuererleichterungen vom Bundesstaat. Aber auch damit war es John nach seiner Entlassung fast unmöglich gewesen, einen Job zu finden. Wegen seines Status als Sexualstraftäter durfte er nicht mit Kindern arbeiten oder im Umkreis von hundert Metern um eine Schule oder eine Tagesstätte wohnen. Rein rechtlich durften Arbeitgeber einen Vorbestraften nicht diskriminieren, aber sie fanden immer Mittel und Wege, das Recht zu umgehen. John hatte neunzehn Bewerbungsgespräche hinter sich, als er auf diese Autowaschanlage stieß. Diese Gespräche liefen immer gleich ab: »Wie geht's/wir hätten Sie sehr gerne hier bei uns/füllen Sie einfach dieses Formular aus, und dann melden wir uns bei Ihnen.« Wenn er dann in der Woche darauf anrief, weil er nichts von ihnen gehört hatte, hieß es immer: »Wir haben die Stelle bereits anderweitig besetzt/wir haben einen qualifizierteren Bewerber gefunden/tut uns leid, aber wir müssen Personal reduzieren.«
»Qualifizierter, um Kisten zu packen?«, hatte er einen gefragt, den Transportmanager einer Pastetenfabrik. »Hören Sie, Kumpel«, hatte der Kerl geantwortet, »ich habe eine Tochter im Teenageralter. Sie wissen, warum Sie den Job nicht bekommen haben.«
Wenigstens war er ehrlich.
Die Frage war Standard auf jedem Bewerbungsformular. »Von kleineren Verkehrsübertretungen abgesehen, wurden Sie je wegen eines Verbrechens verurteilt?«
John musste jedes Mal ja ankreuzen. Die Leute beschafften sich immer Hintergrundinformationen und würden es so oder so herausfinden.
»Bitte erläutern Sie Ihre Verurteilung in dem dafür vorgesehenen Kästchen.«
Er musste es erklären. Sie könnten seine Bewährungshelferin fragen. Sie könnten einen Polizisten bitten, seine Akte aufzurufen. Sie könnten ins Internet gehen und würden ihn auf der Site des GBl unter »verurteilte Sexualstraftäter in Atlanta und Umgebung« finden. Unter dem Namen Jonathan Winston Shelley würden sie lesen, dass er eine Minderjährige vergewaltigt und ermordet hatte. Der Staat unterschied nicht zwischen minderjährigen und erwachsenen Straftätern, deshalb erschien er nicht als jemand, der dieses Verbrechen begangen hatte, als er selbst noch minderjährig war, sondern als ein erwachsener Pädophiler.
»Hallo«, sagte die Nutte. »Bist du noch da, mein Hübscher?«
John nickte. Er war völlig in Gedanken versunken gewesen, war ihr gefolgt wie ein Hündchen. Sie standen vor dem Schnapsladen. Ein paar Mädchen arbeiteten bereits, hofften auf Mittagskundschaft.
»Hey, Robin«, schrie die Nutte. »Komm mal her.«
Die Frau, die offensichtlich Robin war, kam zu ihnen, mit sichereren Schritten auf ihren hohen Absätzen als Johns Begleiterin.
Zehn Meter vor ihnen blieb sie stehen. »Was, zum Teufel, ist denn mit dir passiert?« Sie schaute John an. »Hast du sie so zugerichtet, du Hurensohn?«
»Nein«, antwortete er, und weil sie allem Anschein nach in ihrer Handtasche nach etwas suchte, das ihm große Schmerzen bereiten würde, fügte er hinzu: »Bitte. Ich habe ihr das nicht angetan.«
»Ach, der hat nichts getan, meine Kleine«, besänftigte die Ältere die Jüngere. »Er hat mich vor diesem Arschloch da unten in der Waschanlage gerettet.«
»Vor welchem?«, fragte Robin, noch immer bis zum Überkochen wütend. So wie sie John musterte, war ihm klar, dass sie noch nicht so recht wusste, was sie von ihm halten sollte; ihre Hand steckte noch immer in der Tasche, wahrscheinlich um ein Pfeffer spray oder einen Hammer gekrallt.
»Vor welchem? Vor welchem?«, wiederholte die Ältere, ein gute Imitation von Ray-Ray. »Diesem dürren Nigger, der alles zweimal sagt.« Sie schaute zu John
hoch und klimperte mit den Wimpern. »Du magst sie ein bisschen jünger, stimmt's, Süßer?«
John spürte, wie sein Körper sich verspannte.
»Nein, so hab ich das nicht gemeint«, fuhr sie fort und strich ihm wie einem Kind beruhigend über den Rücken. Jetzt, da sie sich wieder in ihrer vertrauten Umgebung befand, hatte sie fast etwas Mütterliches an sich. »Hör mal, Robin, tu mir einen Gefallen, mach's ihm halb-halb. Er hat mir wirklich den Arsch gerettet.«
Robin öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber er stoppte sie. Er hob die Hand
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