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Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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du?«
    »Wahrscheinlich ist er Arzt.« Sie lachte noch einmal, ein kurzer, scharfer, amüsierter Laut. »Gynäkologe.«
    John lächelte noch immer. »Danke«, sagte er.
    »Ja.« Sie presste die Lippen zusammen. »Hey, wie heißt du eigentlich?«
    »John.«
    Sie lachte, als hätte er einen Witz gemacht.
    »Nein, wirklich. John Shelley.« Er streckte ihr die Hand entgegen, und sie trat einen Schritt zurück, »'tschuldigung«, sagte er wieder und ließ die Hand sinken. Was hatte er getan? Was hatte er falsch gemacht?
    »Schon okay. Ich muss jetzt nur wieder zurück.« Sie schaute über die Schulter. »Mein Aufpasser sucht sicher bald nach mir, und ich...«
    »Ist schon okay«, entgegnete er. Er steckte die Hände in die Hosentaschen, weil er nicht wusste, was er sonst mit ihnen anfangen sollte. »Tut mir leid, wenn ich...«
    »Kein Problem«, unterbrach sie ihn.
    »Ich begleite dich.«
    »Ich kenne den Weg«, meinte sie und rannte fast zur Straße zurück.
    Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr nachzusehen und sich zu fragen, was er Falsches gesagt hatte, was sie in die Flucht geschlagen hatte. Fünfzig Dollar. Mit fünfzig Dollar konnte er sich vieles kaufen. Essen. Miete. Klamotten. Lachen. Wie ihre Augen funkelten, wenn sie wirklich lächelte. So etwas konnte man nicht kaufen. Ja, sie hatte das Geld genommen, aber ihr Lachen - das war etwas Echtes zwischen ihnen beiden gewesen. Sie hatte mit ihm geredet, wirklich mit ihm geredet, weil sie es so wollte, nicht wegen der fünfzig Mäuse.
    Wie angewurzelt stand John in dem Waldstück, und mit geschlossenen Augen beschwor er noch einmal ihre Stimme, ihr Lachen herauf. Sie hatte irgendwo einen Bruder. Sie war in einem Viertel mit einem Pool aufgewachsen. Ihre Eltern hatten einiges an Geld für ihre Zähne ausgegeben, ihr vielleicht sogar Ballettstunden bezahlt, damit sie einen schlanken Tänzerinnenkörper bekäme und vielleicht so würde wie Joyce, ein Mädchen, das ihr Essen so schnell umsetzte, dass sie nur einmal um den Block zu gehen brauchte, um ihre Figur zu halten.
    Von der Straße drang eine Hupe zu ihm, und John öffnete die Augen.
    Warum war er mit ihr nicht in dieses Hotelzimmer gegangen? Fünfzig Dollar. Das war mehr als ein Tag Arbeit für ihn. Ein ganzer Tag Autos wischen, den Dreck anderer Leute wegräumen, auf Art warten, bis der herauskam und seine Arbeit inspizierte und auf einen nicht existenten Fleck auf einer Windschutzscheibe deutete, damit der Kunde auch dachte, er bekomme etwas für sein Geld.
    Fünfzig Dollar, und wofür? Für die Erinnerung an den Kuss von jemand anderem?
    John brach einen überhängenden Zweig ab, als er zur Straße zurückging, anders als beim Herweg, damit er nicht wieder bei dem Schnapsladen herauskam. Er könnte sie jetzt in den Armen halten, mit ihr schlafen. Er blieb stehen und lehnte sich an einen Baum, und seine Lunge fühlte sich an, als würde ihm die Luft wegbleiben.
    Nein, dachte er. Er würde in dem Zimmer das Gleiche tun, was er jetzt tat: einen Narren aus sich machen. In Wahrheit hatte John noch nie mit einer Frau geschlafen. Er hatte nie die Intimität erlebt, über die man in Büchern las; nie hatte eine Geliebte seine Hand in die ihre genommen, seinen Nacken gestreichelt, seinen Körper an den ihren gezogen. Die letzte Frau, die er geküsst hatte, war die einzige Frau gewesen, die er je geküsst hatte, und damals war sie keine Frau gewesen, sondern ein Mädchen. John erinnerte sich an das Datum, als wäre es in seinem Hirn eingebrannt: 15. Juni 1985.
    Er hatte Mary Alice Finney geküsst, und am nächsten Morgen war sie tot.

Kapitel 10
    10. Juni 1985
    Als kleiner Junge spielte John gerne im Dreck, baute Dinge mit seinen Händen und riss sie dann Stück um Stück wieder ein. Wenn seine Mutter ihn mit schlammverschmierter Hose und Zweigen in den Haaren die Straße entlangkommen sah, lachte sie nur, befahl ihm, sich hinten im Garten auszuziehen, und dann nahm sie den Schlauch und spritzte ihn ab, bevor sie ihn ins Haus ließ.
    Nachts schlief er immer sehr tief nach seinen anstrengenden Tagen. John war kein Junge, der halbe Sachen machte. Er war mager für sein Alter, seine Brust fast eingefallen, aber das glich er mit reiner Willenskraft wieder aus. Falls auf
    der Straße irgendein Spiel lief, war er dabei, und trotz seiner Statur war er nie der Letzte, der für eine Mannschaft ausgesucht wurde. Softball, Baseball, Völkerball - er liebte die Bewegung. American Football passte kaum zu seiner Statur, aber er

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