Will Trent 01 - Verstummt
spielte in allen Ligen, sobald er alt genug dafür war. Als er in die Junior High kam, war er deutlich gewachsen, aber seine Figur war eher die einer Bohnenstange als die eines Athleten. Trotzdem war der Footballtrainer beeindruckt gewesen von seiner Vitalität und Dynamik, und schon in der ersten Woche in der Junior High war er auf dem Spielfeld und riss sich den Arsch auf; jeder Muskel in seinem Körper jubilierte vor Freude über die Aussicht, mit den Cracks zu spielen.
In der Highschool lernte er dann, dass man nicht Football spielen durfte, wenn man schlechte Noten hatte. Er ärgerte sich mehr als erwartet, als er aus dem Team ausgeschlossen wurde.
In einem plötzlichen Wutanfall schleuderte er seinen Helm gegen die Wand und hinterließ ein großes Loch in der Rigipsplatte. Er fing an, nach der Schule in der Nachbarschaft herumzustreunen, denn er wusste, wenn er nach Hause ging, würde seine Mutter ihn fragen, warum er nicht im Training sei. Den Brief des Trainers an seine Eltern hatte er in den Papierkorb geworfen und den Schaden an der Wand mit dem Geld aus seinen Drogengeschäften bezahlt. Er dachte sich, bei der Zeugnisvergabe am Ende des Jahres würden seine Eltern sowieso erfahren, was passiert war, und er wollte seine Freiheit so lang wie möglich genießen, bevor sein Vater über ihn herfiel wie die personifizierte Rache Gottes.
Auch nachdem sein übriges Leben in die Brüche gegangen war, machte John noch immer gern Spaziergänge. Als er wegen der Tüte Gras in seinem Spind zum ersten Mal von der Schule verwiesen wurde, schlenderte er fast den ganzen Tag durch die Nachbarschaft. Nach dem Diebstahl der Kassette erhielt er von seinem Vater sechs Monate Hausarrest. Wäre seine Mutter nicht gewesen (»Sei in einer Stunde zurück, und sag deinem Vater nichts«), wäre er in seinem Zimmer wahrscheinlich eingegangen. Manchmal dachte er, dass es genau das war, was sein Vater wollte. Soll der schlechte Sohn doch einfach verschwinden, aus den Augen, aus dem Sinn. Dr. Richard hatte ja noch Joyce, ein gutes Kind.
John war gern draußen, liebte es, die Bäume im Wind schwanken oder die Blätter zu Boden fallen zu sehen. Auf seinen Wanderungen war er nie high. Er wollte sich das schöne Gefühl nicht verderben. Außerdem ließ der Reiz des Koks ziemlich schnell nach. Sein Abstecher in die Notaufnahme, das
Aufwachen mit dem Empfinden, als hätte er Feuer im Hirn, das Nasenbluten, als er die Holzkohle wieder auskotzte, die sie ihm eingeflößt hatten - das hatte ihm die Augen geöffnet. Damals hatte er sich vorgenommen, es bei Gras zu belassen. Nichts war so gut, dass es sich dafür zu sterben lohnte. Woody würde ihn deswegen zwar auslachen, aber John hatte nicht vor, sich umzubringen, nur um vor seinem Cousin gut dazustehen.
In der Nacht der Überdosis war Johns Vater ins Krankenhaus geeilt, das Hemd nur hastig übergeworfen und falsch zugeknöpft. Die Schwester hatte John mit seinem Vater allein gelassen, weil sie glaubte, die beiden wollten ein vertrauliches Gespräch führen oder sonst etwas.
»Verdammte Scheiße, was ist denn bloß los mit dir?«, hatte sein Vater ihn angefahren. Er war mehr als wütend. Seine Stimme klang angestrengt, als würde sie durch ein Sieb gepresst, und Johns Ohren, die ihm von der Kotzerei sowieso schon summten, konnten kaum verstehen, was er sagte.
Richard liebte Zitate. Einige davon hatte er sich an die Wand seines Arbeitszimmers geklebt, und manchmal, wenn er John zu sich rief, um über dessen letzten Fehltritt zu sprechen, deutete er einfach auf einen der Sprüche. »Dummheit ist ein angelerntes Verhalten«, war einer seiner Lieblinssätze, aber in dieser Nacht im Krankenhaus wusste John, dass die Tage, an denen sein Vater nur auf einen Fetzen Papier deutete, weil er hoffte, seinen Sohn damit wieder auf den rechten Weg zu bringen, endgültig vorbei waren.
»Du bist nicht mein Sohn«, sagte Richard. »Wenn deine Mutter nicht wäre, würde ich dich Nichtsnutz so schnell rausschmeißen, dass dir schwindlig wird.« Wie zur Illustration schlug er John seitlich auf den Kopf. Es war kein fester Schlag, aber seit seinem sechsten oder siebten Lebensjahr das erste Mal, dass sein Vater wieder die Hand gegen ihn erhob, und damals hatte er ihn immer nur auf den Hintern geschlagen.
»Dad...«, stammelte John.
»Nenn mich nie wieder so«, herrschte ihn Richard an. »Ich arbeite hier. Ich habe hier Kollegen - Freunde. Weißt du, wie peinlich das ist, mitten in der Nacht einen Anruf zu
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