Will Trent 01 - Verstummt
»Ich habe ein Auge auf Sie, John. Vergessen Sie das nicht.«
»Nein, Ms. Lam. Das vergesse ich nicht.«
Sie sah ihn noch einen Augenblick länger an und schüttelte dann den Kopf, als würde sie ihn einfach nicht verstehen. »Immer schön sauber bleiben, und wir beide haben keine Probleme, okay?«
»Okay«, erwiderte er und fügte dann dümmlich hinzu, »vielen Dank.«
»Man sieht sich«, sagte sie und ging zur Tür. »Immer sauber bleiben.«
»Ja, Ma'am«, sagte er. Er schloss hinter ihr die Tür, legte die Handfläche flach aufs Holz, stützte den Kopf auf die Hand und versuchte, einfach nur zu atmen.
»Klopf-klopf«, hörte er über sich. Ms. Lam war auch für den Vergewaltiger alter Frauen zuständig. John wusste nicht einmal, wie der Kerl hieß, weil er jedes Mal, wenn er ihm im Gang begegnete, seine ganze Willenskraft zusammennehmen musste, um ihn nicht auf die Bretter zu schicken.
Er drehte sich um und verschloss die Ohren gegen Ms. Lams Stimme, die oben ihre fröhliche Runde drehte. John hasste es, wenn Leute seine Sachen durchsuchten. Das Wichtigste, was er im Gefängnis hatte lernen müssen, war, dass man den Besitz eines anderen nicht anfasste, außer man war bereit, dafür zu sterben.
Er nahm das oberste T-Shirt zur Hand, eins von sechs, die er besaß, und legte es neu zusammen. Er hatte eine Chino, zwei Jeans, drei Paar Socken und acht Boxershorts, weil ihm seine Mutter aus irgendeinem Grund immer Unterwäsche ins Gefängnis gebracht hatte.
Mit dem Fuß richtete John einen seiner Turnschuhe wieder auf. Mr. Lam hatte auch die untersucht. Die Zungen waren herausgezogen, die Einlagen verschoben. Dreißig Dollar für ein paar Schuhe, dachte Joe. Er konnte nicht glauben, wie teuer Schuhe und Kleidung geworden waren, während er einsaß.
Oben hörte er Ms. Lam sagen: »Oh-oh!« John erstarrte, weil er wusste, dass sie etwas gefunden hatte. Er hörte den Vergewaltiger etwas murmeln und dann Ms. Lams Stimme klar und deutlich: »Erzählen Sie das dem Richter.«
Es gab kein großes Gezeter. Schließlich besaß sie eine Glock, und in diesem heruntergekommenen Schuppen, den sie alle ihr Zuhause nannten, gab es nichts, was einem Fluchtweg ähnlich sah. John konnte nicht widerstehen, den Kopf zur Tür hinauszustrecken, als er sie die Treppe herunterkommen hörte. Ms. Lam hatte eine Hand auf der Schulter des Vergewaltigers und eine an den Handschellen, die seine Hände hinter dem Rücken fixierten. Der Kerl war noch in Unterwäsche, kein Hemd, keine Socken, keine Schuhe. Sie würden viel Spaß haben mit ihm in der Arrestzelle, wie Ms. Lam sehr genau wusste.
Sie sah ihn durch den Türspalt spähen. »Er hat Scheiße gebaut, John«, sagte sie, als wäre das nicht offensichtlich. »Lassen Sie sich das eine Lehre sein.«
John erwiderte nichts. Er schloss die Tür und wartete, bis er die Haustür zuknallen, den Motor anspringen und das Auto wegfahren hörte.
Dennoch wagte er einen Blick aus dem Fenster und zog eine Ecke des Packpapiers gerade rechtzeitig zurück, um Ms. Lams roten Geländewagen an der roten Ampel am Ende der Straße anhalten zu sehen.
John kniete sich hin und hob eine Ecke des schmutzig braunen Teppichs an. Er versuchte, nicht an die Kakerlake zu denken, die sie gesehen hatten, oder an den Mäusekot zwischen Teppich und Lattenrost. Die Kreditauskunft lag noch genau da, wo er sie versteckt hatte. Keine Konterbande, aber was hätte Ms. Lam gesagt, wenn sie das Blatt gefunden hätte. »Oh-oh!« Und er wäre wieder drin.
John zog seine Jeans und die Turnschuhe an. Auf der Treppe nahm er immer zwei Stufen auf einmal. Im Foyer gab es ein Telefon, das sie für Ortsgespräche benutzen konnten. Er nahm den Hörer ab und wählte die Nummer, die er auswendig wusste.
»Keener, Rose und Shelley«, sagte die Empfangsdame am anderen Ende. »Wen wollen Sie sprechen, bitte?«
John antwortete mit leiser Stimme: »Joyce Shelley, bitte.«
»Wen darf ich melden?«
Fast hätte er ihr einen falschen Namen genannt, doch dann ließ er es sein. »John Shelley.«
Eine Pause entstand, ein Zögern, das ihn in seine Schranken verwies. »Einen Augenblick bitte.«
Aus dem Augenblick wurden ein paar Minuten, und John konnte sich das Stirnrunzeln seiner Schwester vorstellen, wenn die Sekretärin ihr sagte, wer in der Leitung wartete. Joyces Leben war ziemlich geordnet, und sie schien sehr erfolgreich zu sein. Sie hatte auf ihre eigene Art gegen ihren Vater rebelliert: Anstatt Ärztin zu werden, hatte sie das
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