Will Trent 02 - Entsetzen
Kleidungsstücke, die darauf warteten, im Schrank verstaut zu werden, lagen auf der Sitzfläche einer samtbezogenen Bank mit seidenen Quasten, und die Bücher standen in geraden Reihen in den Regalen. Irgendein Luftspray mit Blumenduft gab dem Zimmer einen klebrig süßlichen Geruch. Vor dem Fenster klimperte ein Windspiel in einer seltenen Sommerbrise.
Obwohl Emmas Persönlichkeit nicht sehr präsent war, ließ sich nicht übersehen, dass das Zimmer einem sehr glücklichen, jungen Mädchen gehörte. Das Himmelbett hatte eine leuchtend rosafarbene Tagesdecke zu purpurroten Laken und herzförmigen Kissen. Die Wände waren in einem beruhigenden, hellen Fliederton gehalten, der gut zu den geometrisch gemusterten Flokatiteppichen auf dem Dielenboden passte. An der Wand über einem großen, offenen Kamin war ein Flachbildfernseher montiert. Am Fenster standen zwei bequem aussehende Sessel. Ein Buch lag aufgeschlagen und umgedreht auf der Lehne des einen - ein Liebesroman, wie es aussah. Zwei Handtaschen waren auf den anderen geworfen. Auf dem Boden stand ein Rucksack voller Schulbücher und losen Papieren. Zwei Paar identischer Flip-Flops waren neben der Tür abgestreift worden. Das eine Paar war größer als das andere.
Das erklärte wenigstens, warum die Mädchen barfuß gewesen waren.
Der Techniker fotografierte weiter, das Blitzlicht tauchte das Zimmer immer wieder in gleißend helles Licht. Er fragte Will: »Irgendwas Spezielles, das ich mir vornehmen soll?«
»Können Sie die Flüssigkeit auf dem Bett analysieren?« Die Laken waren zusammengeknüllt. Das dunkelrote Material machte die Spuren sexueller Aktivität offensichtlich.
»Dazu muss ich meinen Koffer aus dem Transporter holen«, sagte der Techniker. »Brauchen Sie sonst noch was?«
Will schüttelte den Kopf, und der Mann ging. Draußen wurde eine schwere Tür zugeschlagen, das vertraute, dumpfe Knallen war zu hören, das Will immer mit Tod in Verbindung brachte. Er ging zum Fenster und sah Pete Hanson hinter dem Transporter des Coroners stehen, die Hand flach auf die Hintertür gelegt, ein kurzer Augenblick des Respekts vor den Toten in dem Fahrzeug. Pete hatte Will seine vorläufige Einschätzung mitgeteilt, aber stichhaltige Fakten würde es erst nach Abschluss der Autopsie morgen Vormittag geben.
Jetzt, da es um eine Entführung ging, hatte das Atlanta Police Department bei der Ermittlung keine leitende Funktion mehr, sondern nur noch eine unterstützende. Leo Donnelly rief wahrscheinlich im Augenblick seinen Steuerberater an und versuchte herauszufinden, ob er sich eine Frühpensionierung leisten konnte. Will hatte ihm die Aufgabe zugewiesen, Kayla Alexanders Eltern ausfindig zu machen und ihnen zu sagen, dass ihre Tochter ermordet worden war. Das schien Strafe genug zu sein, obwohl Amanda da auch noch ein Wörtchen mitzureden hatte.
Will zog Latexhandschuhe an und machte sich daran, Emmas Zimmer zu durchsuchen. Er fing mit den zwei Handtaschen auf dem einen Sessel an. Methodisch durchsuchte Will eine nach der anderen. Er fand Kugelschreiber, Tampons, Süßigkeiten und ganz unten einige Münzen Kleingeld - genau das, was man in einer Frauenhandtasche erwarten würde. Die Lederbrieftaschen in beiden Taschen waren identisch, beide mit demselben Designer-Logo, und er nahm an, dass die Mädchen sie bei einem gemeinsamen Einkaufsbummel gekauft hatten. In beiden steckten Visa-Karten mit den Namen der Mädchen darauf. Die Fotos der Führerscheine zeigten zwei erstaunlich ähnlich aussehende Mädchen: blonde Haare, blaue Augen. Emma Campano war offensichtlich die Hübschere der beiden, aber Kayla Alexanders trotzig vorgestrecktes Kinn ließ Will vermuten, dass sie diejenige war, die die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
Jetzt nicht mehr. Noch immer wimmelte es draußen von Fernsehteams. Will war sich sicher, dass jeder Sender sein reguläres Programm unterbrochen hatte, um die Meldung zu bringen. Dank der endlos wiederholten, ärgerlichen Werbespots war der Name Campano in Atlanta sehr bekannt. Will fragte sich, ob die Prominenz der Familie in dem Fall eher hilfreich oder hinderlich sein würde. Außerdem fragte er sich, was im Augenblick mit Emma Campano passierte. Will schaute sich noch einmal ihr Foto an. Vielleicht las er zu viel hinein, aber für ihn schien sie etwas Zurückhaltendes, Verschlossenes auszustrahlen, als befürchtete sie, dem Fotografen nicht zu gefallen.
»Adam David Humphrey«, sagte Faith Mitchell. Wie Will trug sie
Weitere Kostenlose Bücher