Will Trent 02 - Entsetzen
ihm das alles wegzunehmen? Es war unbestreitbar, dass der Mann seiner Familie ein gutes Leben ermöglichte. Wenn man den Pool hinter dem Haus sah und das Privatkino im Keller, würde man nie vermuten, dass er seine frühen Jahre damit zugebracht hatte, seine Rolle als jugendlicher Straftäter zu perfektionieren. Der Schnellste war Paul noch nie gewesen, doch er war schlau und gerissen und wusste schon als Junge, wie man einen Dollar machte. Das Hirn in der Familie war offensichtlich Abigail. Sie hatte fast so schnell wie Will begriffen, was an diesem Vormittag im Haus der Campanos wirklich passiert war. Will hatte noch nie in seinem Leben jemanden so entsetzt gesehen wie diese Frau, als ihr klar wurde, dass sie wahrscheinlich einen Unschuldigen getötet hatte - schlimmer noch, einen Unschuldigen, der vielleicht sogar versucht hatte, ihrer Tochter zu helfen. Sie war hysterisch geworden. Man hatte einen Arzt rufen müssen, der ihr ein Beruhigungsmittel gab.
Paul dagegen, und das war typisch für ihn, hatte bereits angefangen, seine Beziehungen spielen zu lassen, bevor seine Frau die Augen geschlossen hatte. Er hatte sein Handy herausgeholt und zwei Anrufe getätigt: einen bei seinem Anwalt und einen zweiten bei seinem einflussreichen Schwiegervater Hoyt Bentley. Kurze zehn Minuten später hatte dann Wills Telefon zu klingeln angefangen. Weder einmal hatte der Gouverneur sich an den Direktor des Georgia Bureau of Investigation gewandt, der wiederum hatte Amanda unter Druck gesetzt, und sie hatte den Druck an Will weitergegeben.
»Vermasseln Sie die Sache nur ja nicht«, hatte sie auf ihre aufmunternde Art gesagt.
Die Vorgehensweise bei Entführungsfällen war recht einfach: Ein Polizist muss die ganze Zeit bei der Familie bleiben, und die Familie muss am Telefon sitzen und auf den Anruf mit der Lösegeldforderung warten. Auch als der Arzt ihr schon die Nadel in den Arm stach, hatte Abigail sich noch geweigert, ihr Zuhause zu verlassen. Über der Garage gab es eine Gästewohnung. Nachdem Will sich versichert hatte, dass diese Wohnung nicht zum Tatort gehörte, hatte er die Eltern zusammen mit Hamish Patel, einem Unterhändler des GBI in Entführungsfällen, dorthin geschickt. Paul hatte sich darüber aufgeregt, dass man ihm einen Babysitter zuwies, was bedeutete, dass er entweder etwas zu verbergen hatte oder glaubte, er könne die Lage in den Griff bekommen, ohne dass die Polizei sich einmischte.
Da Will wusste, wie Paul tickte, war er sich ziemlich sicher, dass es ein bisschen was von beidem war. Er war bei der Befragung so unkooperativ gewesen, dass Will den Anwalt richtiggehend herbeisehnt hatte, damit der Mann seinem Mandanten sagen könnte, dass es okay sei, auf Fragen offen und ehrlich zu antworten. Vielleicht konnte auch Hamish Patel mit seinen Fähigkeiten etwas erreichen. Der Unterhändler war von Amanda persönlich ausgebildet worden, als sie die Entführungssondereinheit des GBI leitete. Der Mann konnte so ziemlich jeden schwindelig reden.
Weiterhin den Vorschriften entsprechend, hatte Will eine Fahndung nach Kayla Alexanders weißem Prius eingeleitet sowie einen Levi's Call, Georgias Version des Amber Alert, in Bezug auf Emma Campano. Das bedeutete, dass alle Highway-Informationstafeln in Atlanta und alle Radio-und Fernsehsender in Georgia einen Aufruf an die Bevölkerung brachten, sich zu melden, wenn jemand das Auto oder das Mädchen sah. Außerdem hatte Will Fangschaltungen für alle Festnetztelefone und Handys der Familie installieren lassen, aber er bezweifelte, dass in nächster Zeit ein Anruf mit einer Lösegeldforderung eingehen würde.
Sein Instinkt sagte ihm, dass derjenige, der Emma Campano entführt hatte, es nicht wegen des Geldes getan hatte. Ein Blick auf Kayla Alexander erzählte die Geschichte. Die junge Frau war von einem Sadisten, der wahrscheinlich jede Minute seiner Untat genossen hatte, geschlagen und vergewaltigt worden. Es gab nur einen Grund, warum man eine Geisel von einem Tatort verschleppte, und dieser Grund hieß nicht Geld. Im Augenblick konnte Will nichts anderes tun, als zu hoffen, dass er etwas - irgendetwas - fand, das auf den Mann hindeutete, bevor dieser wieder tötete.
Will stand im Gang und sah zu, wie der Spurensicherungstechniker Fotos von Emma Campanos Zimmer schoss. Er versuchte ein Gefühl für ihre Persönlichkeit zu bekommen, aber nichts stach besonders heraus bis auf die Tatsache, dass sie eine ordentliche junge Frau war. Sauber zusammengelegte
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