Will Trent 02 - Entsetzen
Etwas beschäftigte ihn, und schließlich verstand er.
Sieben, hatte Faith Mitchell gesagt. Sie hatte recht. Sechs Polizisten waren gefeuert worden, aber eine weitere Beamtin war von den Folgen dieses Skandals ebenfalls getroffen worden. Ein Police Commander namens Evelyn Mitchell war in die Frühpensionierung gezwungen worden. Da Evelyns Tochter Detective bei der Truppe war, hatte Faith Mitchell natürlich Wills Aufmerksamkeit erregt. Sie hatte eine ziemlich solide Personalakte, aber ihre Beförderung zum Detective vor fünf Jahren hatte doch für einige Verwunderung gesorgt. Achtundzwanzig Jahre war ein bisschen jung für das Goldene Schild, aber dass es irgendwelche Kungeleien gegeben hatte, war schwer zu beweisen gewesen. Von Vetternwirtschaft einmal abgesehen, hatte Will nichts gefunden, was einen tieferen Blick in Faith Mitchells Leben gerechtfertigt hätte, deshalb hatte er die Frau nie persönlich kennengelernt.
Bis jetzt.
»Scheiße«, stöhnte Will. Wenn er heute jemanden getroffen hatte, der einen berechtigten Hass auf ihn hatte, dann war es Evelyn Mitchells Tochter. Das war es vermutlich gewesen, was Leo Will hatte sagen wollen, als sich plötzlich alles änderte - oder vielleicht hatte er angenommen, dass Will es bereits wusste. Die Ermittlungen waren vor mehreren Monaten abgeschlossen worden, und seitdem hatte Will mindestens ein Dutzend anderer Fälle bearbeitet. Obwohl er natürlich deutlich gespürt hatte, welcher Hass ihm im Campano-Haus entgegenschlug, hatte er sich auf den vorliegenden Fall konzentriert und nicht auf die Details eines Falles, der schon vor Monaten gelöst worden war.
An dieser Sache konnte Will nun nichts mehr ändern. Er nahm seine Suche wieder auf, schaute in die Schubladen und Kommoden, die enthielten, was man in einem Teenager-Zimmer erwarten würde. Er suchte auch unter dem Bett und zwischen Matratze und Lattenrost. Es gab keine geheimen Notizen oder versteckte Tagebücher. Ihre Unterwäsche war so, wie man es erwarten würde, das hieß, es gab keine übertrieben sexy Stücke, die darauf hindeuten könnten, dass Emma Campano eine wildere Seite des Lebens ausprobierte.
Als Nächstes ging Will zum Wandschrank. Wie es aussah, war das Haus der Campanos gründlich modernisiert worden. Doch aus einem Stein konnte man kein Blut pressen, und der Wandschrank in Emma Campanos Zimmer war so, wie der Architekt ihn ursprünglich geplant hatte, was hieß, dass er ungefähr so groß war wie ein Sarg. Die Kleidungsstücke hingen so dicht an dicht, dass die Querstange sich durchbog. Auf dem Boden standen Schuhe in Reihen hintereinander - so viele, dass einige Paare sogar aufeinandergestapelt waren.
Zwischen den Mary Janes und den Sportschuhen standen schwarze, kniehohe Stiefel und Highheels mit unmöglich hohen, spitzen Absätzen. Und ähnlich hingen zwischen hellfarbenen Blousons dunkle, schwarze Jacken und schwarze Hemden mit strategisch platzierten Rissen, die von Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurden. Insgesamt sahen sie so aus wie etwas, das man beim Militär tragen würde, wenn man in der Hölle stationiert war. Will hatte schon früher Fälle mit Teenagern bearbeitet. Er nahm an, dass Emma eben eine Phase durchmachte, die sie zwang, sich wie ein Vampir zu kleiden. Die pastellfarbenen Twinsets deuteten wohl darauf hin, dass ihre Eltern über ihre Verwandlung nicht eben erfreut waren.
Will schaute auch auf den oberen Ablagen nach, tastete zwischen Pullovern, holte Kartons mit weiteren Kleidungsstücken herunter und durchsuchte methodisch einen nach dem anderen. Er kontrollierte auch Hosentaschen und Handtaschen und stieß dabei auf Zedernholzklötzchen und Lavendelsäckchen, die ihn zum Niesen brachten.
Dann ging er auf alle viere, um den Boden des Wandschranks zu durchsuchen. In einer Ecke lehnten mehrere zusammengerollte Poster, und er rollte jedes davon auf. Marilyn Manson, Ween und Korn - nicht gerade Bands, die man bei einem wohlhabenden, blonden Teenager erwarten würde. Die Ecken waren abgerissen, als hätte sie jemand mit Gewalt von der Wand gezogen. Will rollte die Poster wieder auf und kontrollierte dann Emmas Schuhe, schob sie herum und versicherte sich, dass nicht etwas in oder unter ihnen versteckt war. Er fand nichts Erwähnenswertes.
Als er sich vom Schrank wegdrehte, stach ihm ein schwacher Ammoniakgeruch in die Nase. Neben dem Bett stand ein Hundekorb, wahrscheinlich das Lager des uralten Labradors, den Leo erwähnt hatte. Auf dem gelben Stoffbezug waren
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