Will Trent 02 - Entsetzen
ihre Umgebung als die meisten Menschen. Wir erleben das manchmal bei misshandelten Kindern, die, als Form des Selbstschutzes, gelernt haben, Stimmungen und Nuancen besser zu erkennen als das typische Kind. Sie nehmen eine unglaubliche Menge an Vorwürfen auf sich, nur um in Frieden leben zu können. Sie sind die ultimativen Überlebenskünstler.«
Faith fand einen gewissen Trost in diesen Worten. Ein Blick in die Runde zeigte ihr, dass sie mit diesem Gefühl nicht allein war.
Will stand auf. »Tut mir leid«, sagte er zu der Gruppe. »Ich habe einen anderen Termin. Detective Mitchell hat noch ein paar Fragen an Sie.« Er griff in seine Sakkotasche. Faith vermutete, um den Recorder auszuschalten. »Faith, rufen Sie mich an, wenn Sie in der City Hall sind.« Er meinte das Leichenschauhaus. »Ich will dabei sein.«
»Okay.«
Er entschuldigte sich noch einmal und verließ dann schnell den Raum. Faith schaute auf ihre Uhr und fragte sich, wohin er wollte. Bei den Campanos musste er erst in einer Stunde sein.
Faith sah sich in der Runde um. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Sie beschloss, die Sache jetzt schnell hinter sich zu bringen. »Ich frage mich, ob es irgendwas Spezielles gibt, was mit Kayla Alexander passiert ist. Wenn man bedenkt, was ihr angetan wurde, scheint es nicht viel Sympathie für sie zu geben.«
Die meisten zuckten die Achseln. Einige schauten auf ihre Hände oder auf den Boden. Nicht einmal Danielle Park hatte eine Antwort.
Die Rektorin übernahm wieder. »Wie gesagt, Detective Mitchell, Kayla war eine Herausforderung.«
Bernard seufzte schwer, als missfalle es ihm, immer derjenige sein zu müssen, der für Klarstellung sorgte. »Kayla stiftete gern Unruhe.«
»Auf welche Art?«
»Wie Mädchen es eben tun«, sagte er, auch wenn das kaum eine Erklärung war. »Sie suchte Streit?«
»Sie verbreitete Gerüchte«, entgegnete Bernard. »Sie versetzte die anderen Mädchen in Aufregung. Ich bin mir sicher, Sie wissen noch, wie es war, in diesem Alter zu sein.«
Faith hatte alles getan, um das zu vergessen. Die einzige schwangere Vierzehnjährige in der ganzen Schule zu sein war nicht gerade ein Zuckerschlecken.
Bernards Ton wurde nun ein wenig abwehrend. »So schlimm war es auch wieder nicht.«
Matthew Levy stimmte ihm zu. »Diese Kabbeleien finden immer zyklisch statt. In einer Woche haben sie sich in der Wolle, in der nächsten sind sie die besten Freundinnen und hassen jemand anderen. Man erlebt das die ganze Zeit.«
Alle Frauen im Zimmer schienen anderer Meinung zu sein. Park sprach aus, was die anderen anscheinend dachten. »Es war schlimm«, sagte sie. »Ich würde sagen, binnen eines Monats nach ihrer Einschreibung hatte sich Kayla Alexander mit so ziemlich jedem hier angelegt. Sie spaltete die Schule in zwei Lager.«
»War sie bei den Jungs beliebt?«
»Und wie«, sagte Park. »Sie benutzte sie wie Toilettenpapier.«
»Gab es da einen Speziellen?«
Wieder allgemeines Achselzucken und Kopfschütteln.
»Die Liste ist wahrscheinlich endlos«, sagte Bernard. »Aber die Jungs ließen sich nicht aufstacheln. Sie wussten, was sie bekamen.«
Faith sprach nun Danielle Park an. »Zuvor klang es bei Ihnen so, als wäre Emma Kaylas einzige Freundin gewesen.«
Park erwiderte: »Kayla war Emmas Freundin. Emma war die Einzige, die Kayla noch hatte.«
Die Unterscheidung war wichtig. »Warum hielt Emma weiterhin zu ihr?«
»Darauf weiß nur Emma eine Antwort, aber ich würde vermuten, dass sie wusste, was es hieß, Außenseiterin zu sein. Je mehr sich alle gegen Kayla wandten, umso enger schien ihre Beziehung zu werden.«
»Sie sagten, die Schule wurde in zwei Lager gespalten. Was genau ist passiert?«
Schweigen füllte den Raum. Niemand schien darüber sprechen zu wollen. Faith wollte die Frage eben noch einmal stellen, als Paolo Wolf, ein Wirtschaftslehrer, der bis dahin geschwiegen hatte, sagte: »Mary Clark dürfte darüber mehr wissen.«
Das Schweigen wurde deutlicher, bis Evan Bernard etwas in seinen Bart hineinmurmelte.
Faith sagte: »Tut mir leid, Mr. Bernard, aber ich habe nicht verstanden, was Sie gesagt haben.«
Sein Blick zuckte durch den Raum, als suchte er Streit. »Mary Clark weiß doch kaum, wer sie selbst ist.«
»Ist Mary eine Schülerin hier?«
McFaden, die Rektorin, erklärte: »Mrs. Clark ist eine unserer Englischlehrerinnen. Sie hatte Kayla letztes Jahr in ihrer Klasse.«
Faith machte sich erst gar nicht die Mühe zu fragen, warum die Frau nicht hier war. Sie
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