Will Trent 02 - Entsetzen
die Augen aller Anwesenden im Saal auf sich gerichtet, als sie über die Bühne ging. Das Rednerpult schien sich mit jedem Schritt weiter zu entfernen, und als sie endlich davorstand, waren ihre Hände so schweißfeucht, dass sie auf dem polierten Holz Abdrücke hinterließen.
»Vielen Dank«, sagte Faith, und ihre Stimme hallte ihr dünn und kindlich aus den Lautsprechern entgegen. »Ich bin Detective Faith Mitchell. Ich möchte euch versichern, dass die Polizei alles in ihrer Macht Stehende tut, um Emma und denjenigen zu finden, der diese Verbrechen begangen hat.« Sie fügte noch: »Und das Georgia Bureau of Investigation« hinzu, aber zu spät, denn sie merkte, dass der Nachsatz nicht verstanden wurde. Sie fing noch einmal an. »Wie gesagt, ich bin Detective beim Atlanta Police Department. Eure Rektorin hat meine Telefonnummer. Wenn ihr irgendetwas gesehen oder gehört oder Informationen habt, die uns in diesem Fall weiterhelfen könnten, dann ruft mich bitte an.« Faith spürte, dass sie keine Luft mehr in der Lunge hatte. Sie versuchte, so unauffällig wie möglich einzuatmen. Kurz überlegte sie sich, ob sich ein Herzinfarkt so anfühlte.
»Ma'am?«, rief jemand.
Faith schirmte mit der Hand die Augen gegen die grellen Scheinwerfer ab. Sie sah mehrere hochgereckte Hände und deutete auf das vorderste Mädchen und konzentrierte sich voll auf diese eine Person. »Ja?«
Das Mädchen stand auf, und Faith sah ihre langen, blonden Haare und die cremig weiße Haut. Die Frage kam Faith in den Sinn, bevor das Mädchen sie stellen konnte. »Glauben Sie, wir sollten uns die Haare schneiden?«
Faith schluckte und suchte nach der besten Antwort. Es gab alle möglichen Urbanen Mythen darüber, dass Frauen mit langen Haaren die bevorzugten Opfer von Vergewaltigern waren, aber aus ihrer praktischen Erfahrung heraus wusste Faith, dass die Männer, die diese Verbrechen begingen, sich nur für eine Stelle am Körper einer Frau interessierten, und nicht dafür, ob ihre Haare lang oder kurz waren. Andererseits sahen Kayla und Emma sich so ähnlich, dass man durchaus ein Muster vermuten konnte.
Faith antwortete etwas umständlich. »Ihr braucht eure Haare nicht zu schneiden, ihr braucht euer Aussehen nicht zu verändern.«
»Was ist mit...«, setzte ein Mädchen an, brach ab, weil es sich ans Protokoll erinnerte, und hob die Hand.
»Ja?«, fragte Faith.
Die Schülerin stand auf. Sie war groß und hübsch, die dunklen Haare hingen ihr offen auf die Schultern. Ihre Stimme zitterte leicht, als sie fragte: »Emma und Kayla waren beide blond. Ich meine, heißt das denn nicht, dass der Kerl eine bestimmte Vorgehensweise hat?«
Faith fühlte sich von der Frage überrumpelt. Sie dachte an Jeremy und daran, dass er es immer spürte, wenn sie nicht ehrlich zu ihm war. »Ich will euch nicht anlügen«, sagte sie zu dem Mädchen, hob dann aber den Kopf und schaute die ganze Versammlung an, und plötzlich verschwand ihre Bühnenangst, ihre Stimme wurde kräftiger. »Ja, Emma und Kayla hatten beide lange, blonde Haare. Wenn ihr euch wohler dabei fühlt, eure Haare eine Weile hochgesteckt zu tragen, dann tut es. Ihr dürft euch jedoch nicht zu dem Glauben verleiten lassen, dass ihr allein dadurch völlig sicher seid. Ihr müsst dennoch Vorsichtsmaßnahmen treffen, wenn ihr ausgeht. Ihr müsst dafür sorgen, dass eure Eltern immer wissen, wo ihr seid.« Protestierendes Flüstern erhob sich. Faith hob die Hände und kam sich dabei vor wie ein Prediger. »Ich weiß, das klingt banal, aber ihr alle lebt nicht in den Vorstädten. Ihr kennt die Grundregeln der Sicherheit. Nicht mit Fremden reden. Nicht allein an unbekannte Orte gehen. Nie weggehen, ohne jemandem - irgendjemandem - zu sagen, wohin ihr geht und wann ihr zurückkommen werdet.«
Das schien sie zu besänftigen. Faith rief einen Jungen auf, der neben seiner Mutter saß.
Er klang ziemlich schüchtern. »Gibt es irgendetwas, das wir für Emma tun können?«
Im Saal wurde es völlig still. Faith beschlich wieder die Angst. »Wie gesagt ...« Sie musste abbrechen, um sich zu räuspern. »Wie ich zuvor gesagt habe, jede Information, von der ihr glaubt, dass sie uns weiterhelfen könnte, ist sehr willkommen. Verdächtige Personen im Umkreis der Schule. Ungewöhnliche Dinge, die Emma oder Kayla vielleicht gesagt haben - oder auch ganz normale Sachen, von denen ihr vielleicht jetzt glaubt, dass sie etwas zu tun haben könnten mit dem, was passiert ist. Das alles, so banal es auch
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