Will Trent 02 - Entsetzen
brutaler als irgendeine von ihnen je erfahren würde. Eine weitere Klassenkameradin wurde vermisst, wurde wahrscheinlich von einem Monster sadistisch missbraucht. Da diese Mädchen die ganze Bandbreite zwischen CSI und Thomas Harris kannten, konnten sie sich vorstellen, was mit Emma Campano passierte.
Je näher Faith der Bühne kam, umso deutlicher konnte sie Weinen hören. Es gab nichts Emotionaleres als eine Jugendliche. Hatte Faith vor zehn Minuten noch fast etwas wie Verachtung für die Mädchen empfunden, so hatte sie jetzt Mitleid mit ihnen.
McFaden fasste Faith am Arm. »Das ist Mrs. Clark«, sagte sie und deutete zu einer Frau, die an der Seitenwand lehnte. Die meisten Lehrer standen im Mittelgang und tadelten eifrig Schüler, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, Mrs. Clark dagegen schien in ihrer eigenen, kleinen Welt versunken zu sein. Sie war jung, kam wahrscheinlich frisch vom College, und beinah schön zu nennen. Ihre rotblonden Haare fielen ihr auf die Schultern, Sommersprossen sprenkelten ihre Nase. Was absolut nicht dazu passte, war ihre Kleidung: Ein konservatives, schwarzes Jackett, eine gestärkte, weiße Bluse und ein entsprechender Rock, der kurz unter dem Knie endete - ein Ensemble, das man eher bei einer matronenhaften, älteren Frau erwarten würde.
McFaden sagte: »Könnten Sie vielleicht ein paar Worte zu den Schülern sagen?«
Faith spürte Panik in sich aufsteigen. Sie sagte sich, dass sie ja nur zu einem Saal voller Kinder spreche, dass es egal war, ob sie sich zum Narren machte, aber ihre Hände zitterten immer noch, als sie vor der Bühne standen. Die Klimaanlage kühlte den Saal sehr effektiv, aber Faith schwitzte dennoch.
McFaden stieg die Stufen zur Bühne hinauf. Faith folgte ihr und kam sich plötzlich genauso alt vor wie die Kinder, die sie eigentlich trösten sollte. Während McFaden direkt zum Rednerpult ging, wartete Faith an der Seite und suchte verzweifelt nach einer Ausflucht, um dies hier nicht tun zu müssen. Die Scheinwerfer waren so hell, dass Faith nur die Schüler in der ersten Reihe sehen konnte. Die Uniformen waren wahrscheinlich maßgeschneidert - Schulmädchenröcke und passende, gestärkte, weiße Oberteile. Die Jungs hatten es besser in ihren dunklen Hosen und weißen Hemden mit blau gestreiften Krawatten. Es war wohl jeden Tag ein Kampf, bis sie bereit waren, das Hemd in die Hose zu stecken und die Krawatte straff zu ziehen.
Hinter dem Rednerpult standen sechs Stühle. Auf vier Stühlen saßen Lehrer, auf dem letzten ein großer Mann in einer Radlerhose, ein zerdrücktes Blatt Papier in seiner offensichtlich schweißfeuchten Hand. Der Bauch quoll ihm über den Hosenbund und machte ihm das Atmen schwer; sein Mund stand offen, die Lippen bewegten sich wie bei einem Fisch. Faith betrachtete ihn, versuchte herauszufinden, was er da machte, und erkannte dann, dass er den Text des Manuskripts in seiner Hand noch einmal durchging. Faith sah die Trillerpfeife vor seiner Brust und nahm an, dass es der Cheftrainer des Sportbereichs war. Neben ihm saß Evan Bernard auf dem letzten Stuhl auf der linken Seite. Danielle Park saß auf dem letzten Stuhl am anderen Ende. Faith bemerkte den Abstand zwischen den beiden Lehrern und die bemühte Art, wie sie den Blickkontakt untereinander mieden, und vermutete, dass es Spannungen zwischen ihnen gab. Sie schaute noch einmal zu Mary Clark, die noch immer im Seitengang stand, und dachte sich, dass sie vielleicht der Grund dafür war.
McFaden kontrollierte das Mikrofon. Alle im Saal verstummten, aus den Lautsprechern kam das gewohnte Pfeifen, dann ertönte das zu erwartende Murmeln aus der Menge. Die Rektorin wartete, bis der Lärm sich wieder gelegt hatte. »Wir wissen natürlich alle Bescheid über die Tragödie, die gestern über zwei unserer Schülerinnen und einen ihrer Freunde hereingebrochen ist. Für alle von uns ist das eine schwierige Zeit, aber als Gemeinschaft können wir - und werden wir - diese Tragödie überwinden und etwas Gutes daraus entstehen lassen. Unser Gemeinschaftssinn, unsere Liebe zu unseren Mitschülern, unser Respekt vor dem Leben und dem Gemeinwohl wird uns allen in Westfield helfen, dies durchzustehen.« Einige applaudierten, vorwiegend Eltern. Sie drehte sich Faith zu. »Detective Mitchell vom Atlanta Police Department ist hier, um eure Fragen zu beantworten. Ich möchte die Schüler daran erinnern, dass sie sich unserem Gast gegenüber respektvoll verhalten.«
McFaden setzte sich, und Faith spürte
Weitere Kostenlose Bücher