Will Trent 02 - Entsetzen
sich doch für sie alle verantwortlich.« Sie schnäuzte sich noch einmal. »Sie waren da oben ziemlich verängstigt, was?«
»Ja«, gab Faith zu, weil eine Lüge bei etwas so Einfachem es später schwierig machen würde, bei wichtigeren Fragen zu lügen. »Ich hasse Reden in der Öffentlichkeit.«
»Ich auch.« Doch Mary verbesserte sich: »Na ja, nicht vor Kindern - da ist es nicht wirklich wichtig -, aber bei Fakultätskonferenzen, Eltern-Lehrer-Besprechungen ...« Sie schüttelte den Kopf. »Gott, das alles interessiert Sie doch nicht, oder? Warum plappere ich nicht gleich übers Wetter?«
Faith lehnte sich an die Stahltür, überlegte es sich dann aber anders, als ihre Haut anfing, Blasen zu werfen. »Warum waren Sie heute Morgen nicht bei dem Treffen?«
Sie steckte sich das Tempo wieder in die Tasche. »Meine Meinung wird hier nicht gerade sehr hoch geschätzt.«
Der Lehrerberuf war berüchtigt dafür, Burn-out zu produzieren. Faith konnte sich gut vorstellen, dass die alte Garde nichts mit einer idealistischen jungen Frau anfangen konnte, die kam, um die Welt zu verändern.
Mary Clark sprach genau dieses Thema an. »Sie glauben alle, es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich schreiend zur Tür hinausrenne.«
»Sie hatten letztes Jahr Kayla Alexander in Ihrer Klasse.«
Die jüngere Frau drehte sich um, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Faith. Ihre Haltung hatte etwas Feindseliges.
Faith fragte: »Können Sie mir sagen, was passiert ist?«
Mary schaute skeptisch. »Die haben es Ihnen nicht erzählt?«
»Nein.«
Sie lachte wieder auf. »Typisch.«
Faith schwieg, um der anderen Frau Freiraum zu geben.
Mary fragte: »Haben sie Ihnen nicht erzählt, dass Kayla letztes Jahr so gemein zu einer anderen Schülerin war, dass diese schließlich die Schule verließ?«
»Nein.«
»Ruth Donner. Sie wechselte mitten im Schuljahr auf die Marist.«
»Danielle Park sagte, Kayla hätte die Schule in zwei Lager gespalten.«
»Das ist eine zutreffende Aussage. Es gab das Kayla-Lager und das Ruth-Lager. Es dauerte eine Weile, aber ziemlich bald wechselten immer mehr auf Ruths Seite. Dieser Schulwechsel war eigentlich das Schlaueste, was Ruth tun konnte. So stand Kayla allein im Mittelpunkt, und plötzlich zeigten sich die Risse. Ich glaube, man kann sagen, dass zu Beginn dieses Schuljahrs Kayla von allen geschnitten wurde.«
»Außer von Emma.«
»Außer von Emma.«
»Ich bin ja kaum ein Experte, aber legen Mädchen diese Art von Verhalten normalerweise nicht in der Mittelstufe ab?«
»Normalerweise«, bestätigte die Lehrerin. »Aber einige behalten es bei. Die wirklich Gemeinen können einfach nicht aufhören zu kreisen, sobald sie Blut gerochen haben.«
Faith fand diese Hai-Metapher sehr zutreffend. »Wo ist Ruth Donner jetzt?«
»Ich vermute, im College. Sie war ja schon in der Abschlussklasse.«
Sie zu finden würde jetzt sicherlich Priorität haben. »Kayla war im letzten Jahr noch in der Unterstufe. Was hatte sie sich dabei gedacht, sich mit einer aus der Abschlussklasse anzulegen?«
»Ruth war das beliebteste Mädchen in der Schule.« Mary zuckte die Achseln, als würde das alles erklären. »Natürlich dachte Kayla nicht an die Konsequenzen. Sie kam mit allem durch.«
Faith versuchte, die Sache behutsam anzugehen. Hinter dieser Geschichte steckte noch etwas anderes. Mary Clark vermittelte den deutlichen Eindruck, als hätte sie das Gefühl, Fragen gestellt zu bekommen, deren Antwort Faith bereits kannte. »Ich verstehe ja, dass das, was mit dem anderen Mädchen passiert ist, schrecklich war, aber die Sache scheint Sie persönlich sehr betroffen gemacht zu haben.«
Marys Feindseligkeit schien noch ein bisschen stärker zu werden. »Ich habe letztes Jahr versucht, Kayla Alexander durchfallen zu lassen.«
Faith konnte sich vorstellen, was Mary mit »versuchen« meinte. Eltern zahlten viel Geld, damit ihre Kinder auf die Westfield gehen konnten. Sie erwarteten schulischen Erfolg, auch wenn die Leistungen ihrer Kinder gute Noten nicht rechtfertigten.
»Hier an der Westfield Academy lassen wir Kinder nicht durchfallen. Ich musste der kleinen Schlampe nach der Schule Nachhilfe geben.«
Die Charakterisierung war angesichts der Umstände bestürzend. »Ich muss zugeben, Mrs. Clark, ich finde es merkwürdig, dass Sie so über ein siebzehnjähriges Mädchen sprechen, das vergewaltigt und ermordet wurde.«
»Bitte nennen Sie mich Mary.«
Faith wusste nicht, was sie sagen sollte.
Mary
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