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Will & Will

Will & Will

Titel: Will & Will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Green , David Levithan
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schreiben.«
    »Tiny, du hast mich angerufen.«
    Schweigen. Tippgeräusche. Und dann: »Ja, ich weiß. Aber ich, ähm, ich muss das letzte Lied noch ändern. Darf nicht von mir handeln. Muss von der Liebe handeln.«
    »Ich wünschte, ich hätte sie nicht geküsst. Diese ganze Sache mit ihrem Freund nagt so dermaßen in meinem Hirn.«
    Und dann schweige ich eine Weile und schließlich sagt er: »Sorry, hab grade eine SMS von Will bekommen. Er schreibt mir von dem Mittagessen mit dem neuen schwulen Freund, den er hat. Mir ist klar, dass es kein Date war, weil sie sich ja in der Cafeteria verabredet haben, aber trotzdem. Gideon. Klingt sexy. Beeindruckt mich, wie Will sich gleich überall geoutet hat. So ziemlich jedem auf der ganzen Welt hat er’s erzählt. Ich könnte schwören, dass er sogar dem Präsidenten der Vereinigten Staaten einen Brief geschrieben hat, ›Lieber
Mr President, ich bin schwul. Hochachtungsvoll, Will Grayson. ‹ Das ist so verdammt schön, Grayson.«
    »Hast du überhaupt zugehört, was ich gesagt habe?«
    »Dass Jane und ihr Freund dir das Hirn zerfressen«, antwortet er ohne große Anteilnahme.
    »Ich schwör dir, Tiny, manchmal …« Ich reiße mich im letzten Moment zusammen, bevor ich etwas wirklich Jämmerliches sage, und pack es lieber anders an. »Hast du Lust, morgen nach der Schule was mit mir zu machen? Vielleicht Darts spielen oder was anderes bei dir zu Hause?«
    »Erst Proben, dann überarbeiten, dann Will am Telefon, dann Bett. Du kannst dich bei den Proben hinten mit reinsetzen, wenn du willst.«
    »Super«, sage ich. »Find ich cool.«
    Nachdem ich aufgelegt habe, versuche ich eine Weile, Hamlet zu lesen, aber ich versteh nur die Hälfte und muss dauernd am rechten Seitenrand nachgucken, wo die unbekannten Wörter erklärt werden, und fühle mich deshalb wie ein Idiot. Einfach nicht klug genug. Einfach nicht sexy genug. Einfach nicht nett genug. Einfach nicht witzig genug. Das bin ich dann wohl: Einfach in allem nicht genug.
    Ich liege auf meiner Bettdecke, immer noch voll angezogen, das Buch auf die Brust gesunken, die Augen geschlossen. Meine Gedanken rasen. Ich denke an Tiny. Was ich zu ihm am Telefon sagen wollte – und es dann doch nicht getan habe – und was so jämmerlich klingt, ist folgendes: Wenn man ein kleines Kind ist, hat man immer irgendetwas. Eine Decke oder ein Stofftier oder so was. Für mich war es der Plüschpräriehund, den ich zu Weihnachten bekommen habe, als ich drei war. Keine Ahnung, wo meine Eltern einen Plüschpräriehund
aufgetrieben hatten, aber er saß jedenfalls auf seinen Hinterbeinen da und ich nannte ihn Marvin und schleppte Marvin an seinen Präriehundohren überallhin mit, bis ich ungefähr zehn war.
    Und irgendwann, es war gar nicht gegen ihn persönlich gerichtet, verbrachte Marvin allmählich immer mehr Zeit im Schrank bei den anderen Spielsachen, und dann immer noch mehr Zeit, bis er schließlich seinen dauerhaften festen Wohnsitz im Schrank hatte.
    Aber noch viele Jahre lang holte ich Marvin ab und zu aus dem Schrank und verbrachte ein bisschen Zeit mit ihm – ich tat das nicht für mich, sondern für ihn. Mir war klar, dass das ziemlich verrückt war, aber ich hab es trotzdem gemacht.
    Was ich Tiny eigentlich sagen wollte, war: Ich fühle mich manchmal, als wäre ich sein Marvin.
     
    Ich seh uns beide noch vor mir, Tiny und mich, vor vielen Jahren im Turnunterricht. Es gab damals keine Trainingsshorts mit Schullogo, die für ihn groß genug gewesen wären, deshalb sah er aus, als hätte er eine hautenge Badehose an. Trotz seines gigantischen Leibesumfangs war er bei Dodgeball der beste Spieler und sorgte aus reiner Nettigkeit dafür, dass ich der zweitbeste war, einfach indem ich unsichtbar in seinem Schatten bleiben durfte und er erst ganz am Schluss einen Ball nach mir schmetterte. Oder Tiny und ich bei der Gay Pride Parade in Boystown, das war in der neunten Klasse, und er sagt zu mir: »Grayson, ich bin schwul«, und darauf ich: »Oh, wirklich? Ist der Himmel wirklich blau? Geht die Sonne wirklich im Osten auf? Ist der Papst wirklich katholisch?«, und darauf er: »Ist Tiny Cooper nicht wirklich toll?
Müssen die Vögel, von so viel Schönheit gerührt, nicht weinen, wenn sie Tiny Cooper singen hören?«
    Wie viel doch davon abhängt, dass man einen besten Freund hat. Wenn man am Morgen aufwacht, schwingt man seine Beine aus dem Bett und stellt die Füße auf den Boden und steht einfach auf. Man rutscht nicht vorsichtig an

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